Lillys Weg
mit dem Wort âseinâ aufgewachsen und war froh, dass sich wieder eine Möglichkeit bot, aktiv zu werden.
Lech am Arlberg ist eines der schneesichersten Skigebiete Ãsterreichs. Sie wusste, dass sie hier im März gut Skilaufen konnten. Lilly hatte sich zu Weihnachten, als sie mit Lea im Wäschereiwagen über die Grenze gefahren war, geschworen, keine gefährlichen Aktionen mehr zu unternehmen. Aber das war lange her, und ihre Reise in die Wüste hatte sie sicher gemacht, dass nichts passieren würde, was nicht dem Gesamten diente. Rudi, der inzwischen ein vollwertiges Mitglied des âUnterstützungskomiteesâ war, warnte sie: âSie erwarten, dass du an Ostern versuchen wirst, Oskar zu besuchen, und wissen natürlich auch, dass du kurz vorher Geburtstag hast. Zwei Daten, an denen du dich im letzten Jahr abgesetzt hast, und so listig sind sie, dass sie sich ihre Niederlagen ein Jahr lang merken können.â
Lilly fand das Wort âabgesetztâ interessant. Sie stellte sich vor, wie sie ohne Erlaubnis ihrer Bewacher aufstand und sich einfach woanders wieder niedersetzte. Nach ihren eigenen Wünschen und ihrem eigenen Willen. Es fühlte sich gut an. Sie erinnerte sich an die Qualen der Volksschule, wo die schlimmen Schüler, damit sie besser unter Beobachtung waren, ganz vorne in der âEselsbankâ sitzen mussten. Sie war gemeinsam mit Emil, der Tintenfässer austrank, die Einzige gewesen, die fast ständig dorthin Âzitiert wurde. Ihre âböse Handâ wollte nicht mitmachen bei der Umschulung, die sie heute als Vergewaltigung sah.
Johanna und Rudi hatten darauf bestanden, nach Lech mitzukommen: âDu brauchst Hilfeâ, hatten sie in ihrer üblichen Ãbereinstimmung verfügt, wobei meistens sie sprach und er dazu auf seine bedächtige, ruhige Art mit dem Kopf nickte: âDu bist Âimmer noch erschöpft und kannst nicht die ganze Last der Vorbereitung und dann der Beobachtung vor Ort tragen.â Lilly war erleichtert und nahm an einer Planungssitzung teil, die sie in Âeiner Sauna abhielten, in der man stundenweise Kabinen mieten konnte. Rudi war, wie immer, der Pragmatiker und hatte schon im Vorfeld der âOperation Osternâ seine Fähigkeiten als Tüftler eingesetzt. Er hatte Landkarten und Prospekte mit allen Skiliften und Abfahrten aus der Gegend besorgt und einen Masterplan entwickelt, bei dem nichts schiefgehen konnte.
Der Arlberg empfing sie in strahlendem Sonnenschein. Das Hotel lag direkt an der Piste in Oberlech. Ella hatte es ausgesucht, sie kannte sich in der Gegend aus: âAm Abend fahren die Tagestouristen ins Tal, dann bleiben nur die Hotelgäste auf der Anhöhe, das hilft euch, die Lage leichter zu überblicken.â Sie lebten sich rasch ein und fuhren nach dem Frühstück, so wie die meisten Gäste, im gleiÃenden Schnee über weite Hänge, die von den Pistenraupen in der Nacht wieder präpariert wurden. Wenn der Schnee zu matschig wurde, saÃen sie in Liegestühlen auf der Terrasse und lasen oder spielten mit Lea Karten. Ihre GroÃmutter hatte ihr die Vorarlberger Spezialität âJassenâ beigebracht und sie war stolz darauf, dass sie die Erwachsenen schlagen konnte. Das Kind wusste nicht, dass es hinter dieser erholsamen Idylle ein anderes Ziel gab.
Lilly konnte es nicht mehr ertragen, sie zu belasten, und bemühte sich, so normal wie möglich zu sein und wirklich auszuspannen. Sie mochte dieses Wort. Sie stellte sich vor, wie sie die Pferde ausspannte und ihren Wagen zur Erholung auf einer Skiwiese abstellte. Es war auch leicht. Rudi hatte die Observierung übernommen, das beruhigte sie. Er beobachtete die anderen Gäste, nahm jeden Skiläufer aufs Korn, der eine Pause machte und sich in ihre Nähe setzte, und bat regelmäÃig zu einer Lagebesprechung auf der Piste, wenn niemand in der Nähe war und Lea mit einem anderen Kind, das ebenfalls im Hotel wohnte, spielte. Er stellte immer wieder Vermutungen an, wer von den anderen Gästen âdie Lausâ sein konnte. Das war sein Codewort für den Beamten, der zur Tarnung durchaus auch mit Frau angereist sein könnte. Aber Beweise gab es keine. Es sprach immer etwas für oder gegen seine jeweilige Theorie. Er hatte in einer versteckten Tasche seines Skianzugs eine kleine Liste, die er regelmäÃig mit einem winzigen Bleistift, der in seinen groÃe Händen wie ein
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