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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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gesunken, und glaube mir, es ist eine Riesenscheiße, dass sie untergegangen ist!“
    Viel später, als die Katastrophe längst ihren Lauf genommen hatte, war dieser Satz Lillys Credo, ihre Hoffnung und der Beweis für seine Unschuld.
    Paolo kam immer öfter unangemeldet in der Servitengasse vorbei und verschwand dann mit Oskar, der erst nach Stunden gereizt und schweigsam wiederkam. „Ich will dich nicht hineinziehen. Je weniger du weißt, desto besser für dich.“ Er hatte ihr inzwischen immerhin erzählt, dass sie am Hafen von Chioggia eine Industrieanlage verladen hatten, die für die Philippinen bestimmt und dort nie angekommen war, weil die Esmeralda nach einer Explosion an Bord gesunken war. Nun hatte die Versicherung nach einem langen Zivilprozess über die Auszahlung der Versicherungssumme einen Strafprozess angestrengt. „Sie werfen uns vor, dass wir das Schiff vorsätzlich gesprengt haben sollen. Das ist doch absurd.“
    Ralf hielt sich an Lillys Maulkorberlass. Sie hatten vereinbart, dass er nicht mehr über Oskar lästern durfte. Gleichzeitig bedeutete es für Lilly, dass sie ihm ihre Sorgen aber auch nicht erzählen konnte. Seine Verwunderung über ihr Desinteresse an den Details des „Falls Esmeralda“ behielt er ebenfalls für sich. Wie konnte es sein, dass seine Freundin, die sich in jede Geschichte wie ein Foxterrier verbiss, sich nicht um die Fakten kümmerte? Es ging um einen Skandal, der die Republik erschütterte, und sie lief mit Scheuklappen herum und wollte nichts davon wissen. Er hatte längst heimlich ein spezielles Archiv angelegt, das er in seinem eigenen Büro verwahrte, und sammelte akribisch jede Zeitungsmeldung. Man konnte nie wissen …
    Wenn Lilly das Leben in der Stadt zu viel wurde oder sie Abstand brauchte, fuhr sie noch immer in den Bregenzerwald. Dann bezog sie ihr altes Zimmer im oberen Stock des alten Bauernhauses, wechselte ihre Stadtkleider gegen die Landkleider und setzte sich an den Bauerntisch, auf dem schon die Kässpätzle mit ge­rösteten Zwiebeln dufteten. Jetzt kochte Mama für sie. Das war neu. Früher war ihre geliebte Oma dafür zuständig gewesen. Es schien, als hätte sich ihre Mutter nach deren Tod daran erinnert, dass Lilly ihr Kind war. Es war nicht so, dass sie ihre Liebe nicht schon immer gespürt hatte. Doch ihr Satz „Du bist mein Ein und Alles“ hatte schon früh auf ihren Schultern gelastet und ihr immer das Gefühl gegeben, dass sie für Mamas Glück zuständig war. Gleichzeitig spürte sie eine Innigkeit und Verbundenheit, die manchmal auch erdrückend war. Als Kind hatte sie nach ihrer Rückkehr aus Wien lange bei ihr im Bett geschlafen und war sich jedes Mal wie eine Vertriebene vorgekommen, wenn Vater zu Besuch kam. Die komplizierte Liebesgeschichte der beiden hatte in ihrem Kinderleben so viel Raum eingenommen, dass Lilly sich, wenn sie heute mit Ralf darüber sprach, als Statistin in ­einem Drama bezeichnete.
    Lilly fragte sich manchmal, ob ihre Mutter ihre Rückkehr ins Ländle je bereut hatte. Sie war an der Oberfläche fröhlich, das war sie meistens gewesen, nachdem die Depression, die sie aus Wien mitgebracht hatte, geheilt war. Und dennoch spürte sie, dass etwas in ihr trauerte. Das war schon lange vor Vaters Tod so gewesen, eigentlich, solange sie sich zurückerinnern konnte.
    Mutter hatte damals ihre alte Arbeit als Sprechstundenhilfe eines Arztes in Bezau für zwanzig Stunden in der Woche wieder aufgenommen und war jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit und mittags wieder nach Hause gefahren. Am Nachmittag war sie in den Bergen umhergestreift und hatte Kräuter gesammelt. An der Hand Lilly, ihre kleine Tochter, die ihren eigenen, roten Rucksack mit Vogelfedern, Moosstückchen, seltenen Steinen, Beeren und Hölzern gefüllt hatte. Am frühen Abend war das Haus dann voll mit Menschen gewesen, die Mutters Rat gesucht und ihre selbst gemischten Kräutertinkturen und Salben abgeholt hatten. Solange Vater noch lebte, hatte er seine Frau immer für ihren „Wohltätigkeitstick“ kritisiert. „Das hast du doch nicht nötig, wir haben genug Geld, dass du standesgemäß leben kannst.“
    Die Mellauer waren stolz darauf, zum Hinteren Bregenzerwald zu gehören. Man mischte sich nicht gern mit den Mittel- und Vorderwäldern. Und schon gar nicht mit dem Rest von Österreich. Sie

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