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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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Wänden, den aufgespannten Seidentapeten und den venezianischen Lustern. Die wenigen Menschen, an denen ihr etwas lag, waren schon gegangen. Es gab niemanden mehr, von dem sie sich hätte verabschieden wollen. Er half ihr in den Mantel aus cremefarbener Ballonseide und brachte sie zu einem Taxi am Michaelerplatz. Er nannte dem Fahrer die Adresse, küsste sie innig, und sie erwiderte seinen Kuss. Als ob es normal wäre, dass eine Frau nach ihrer Hochzeit allein zu sich nach Hause fährt! Als sie dann im Taxi saß, spürte sie, dass ihre Fersen von den zu kleinen Schuhen wund gescheuert waren, und fühlte sich zutiefst erschöpft und leer. Dann stand sie vor der Servitenkirche unter ihrem Baum und lehnte sich für einen Augenblick an den Stamm: „Bitte, hilf mir“, flüsterte sie ihm zu.
    Lilly hatte ihr gemeinsames Hochzeitsbett mit der feinen Seide überzogen, die Oskars Morgengabe gewesen war. Auf ihrem Kopfkissen lag ein hauchzartes, champagnerfarbenes Spitzennachthemd, passend zu den Farben ihres Kleides. Bevor sie sich auszog, ging sie noch einmal ins Vorzimmer zurück und sah sich im großen Spiegel an. So ist es also, verheiratet zu sein.
    Es gab kein Nachspiel zu ihrer Hochzeitsnacht. Es war schon Tag, als Oskar kam, sich unter die Dusche stellte und sie dann endlich in seinen Armen lag. Bevor er erschöpft einschlief, überdeckte er ihr Gesicht mit vielen kleinen Küssen und sagte zärtlich: „Du bist die großzügigste Frau der Welt.“
    Ralf war entsetzt über die Hochzeit seiner besten Freundin. Wieso war sie so am Rand gestanden und hatte sich gefallen lassen, dass es ein Fest für „toute Vienne“, aber nicht für das Paar war? Oskar hatte sich bewegt, als ob er noch Junggeselle wäre, und Lilly hatte Ralf auch nicht erzählt, dass sie alleine von ihrer Hochzeit nach Hause gefahren war. Er wusste es, weil seine geheimen Informationskanäle gut funktionierten. Er wartete darauf, dass sie ihm sein Herz ausschüttete, aber als vierzehn Tage vergangen waren, war ihm klar, dass sie das Verdrängungs­programm aufgerufen hatte. Sie war eine Meisterin darin. Alles, was ihrer zarten Seele wehtun würde, packte sie in eine Kiste und versenkte sie irgendwo in ihrem Inneren. Ralf fragte sich manchmal, was mit diesem Abfall passierte und machte sich Sorgen um sie.
    Der Alltag ließ auf sich warten im Leben des jungen Ehepaars. Sie verbrachten jede freie Stunde miteinander, aber die Zeit war begrenzt und damit kostbar. Oskar reiste viel und repräsentierte Paolos Anlagenbaufirma im Ausland. Wenn er in Wien war, wohnte er theoretisch noch immer in seinem Studio im ersten Bezirk, das ihm Paolo als Dienstwohnung zur Verfügung gestellt hatte. Lillys Wohnung war ihr Liebesnest, in dem er sich wohlfühlte, aber kaum Spuren hinterließ. Eine Zahnbürste, ein Rasierer und ein Reservehemd im Schrank war alles, womit er sein Revier markierte, wie Ralf, der ihn noch immer nicht ausstehen konnte, es nannte. Sie hatten sich noch nicht entschieden, wie und wo sie leben wollten. Lilly konnte sich mit der Idee, ihre geliebte Wohnung in der Servitengasse für immer zu verlassen, nicht anfreunden. Oskar drängte sie nicht, fand sie aber für zwei Individualisten auf Dauer zu klein.
    Die Wohnung hatte Vater noch kurz vor seinem Tod für sie gekauft. „Ich möchte dich in meiner Nähe haben, wir haben so viel Zeit versäumt.“ Sie dachte manchmal schmerzlich daran, wie selten sie ihn in der Aufbauphase von Psychologie Morgen in der Porzellangasse, die nur ein paar Minuten entfernt lag, besucht hatte. Er hätte nicht so früh sterben dürfen …
    Nach Salzburg, in Oskars Haus, in dem seine Mutter ein lebenslanges Wohnrecht besaß, würde Lilly genau dreimal im Jahr fahren müssen. An Clarissas Geburtstag, an seinem Geburtstag und zu Weihnachten. Oskar war das wichtig: „Ich kann diese Traditionen nicht abschaffen, sie ist ja schon so alt, wer weiß, wie lange wir sie noch haben.“ Die Königskobra dachte auch gar nicht daran, freiwillig auf ihre Privilegien zu verzichten: „Ich habe meinen Sohn ja schließlich geboren, also muss auch ich an diesem Tag gefeiert werden. Und an Weihnachten war er immer bei mir. Ich bin ja schon mein ganzes Leben lang allein.“
    Die erste Gelegenheit und ein Vorgeschmack darauf, was sie von nun an erwartete, war Oskars Geburtstag. Er war fünfundzwanzig

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