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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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konnte. Ralf wurde zum besten Babysitter der Welt. Er überließ ihr das Kind am liebsten nur, damit sie es stillen konnte. Lea schlief in seinen Armen, wenn er recherchierte, er nahm sie im Tragetuch in die Nationalbibliothek mit und sagte jedem, dem er begegnete, dass Lea seine Nichte sei.
    Für Lilly war klar, dass sie im ersten Jahr auf Halbmast arbeiten würde. Lea und Oskar sollten in ihrem Leben Vorrang haben. Für die Zeit danach hatte sie bereits Tilde engagiert. Tilde kam aus Bezau und hatte selber drei Kinder großgezogen. Nach ihrer Scheidung war sie auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und bereit, nach Wien zu ziehen. Für sie war es ein neues, aufregendes Leben, das sie sich schon als junges Mädchen gewünscht hatte. Ihre drei Kinder lebten ebenfalls in Wien. Sie waren, wie viele junge Vorarlberger dieser Generation, aus der Heimat geflüchtet, weil es ihnen im „Wald“ zu eng war. Tilde kam auch jetzt schon manchmal vorbei, wenn sie ihre Söhne besuchte, damit Lea sich an sie gewöhnen konnte.
    Lilly liebte ihre Tochter, und es war selbstverständlich, dass sie nicht in ihrer Wiege im Kinderzimmer, sondern bei ihr schlief. Wenn Oskar dann von seinen Reisen nach Hause kam, lagen sie zu dritt im Bett, das Baby glücklich grunzend zwischen ihnen. Sex war im Augenblick kein großes Thema. Sie waren eine glückliche, kleine Familie, das war genug.
    Die Tage und Wochen wurden von nun an mit den Fortschritten bezeichnet, die Lea machte: das erste Mal durchschlafen, der erste Zahn, der erste Gehversuch … Die Gespräche zwischen Lilly und Oskar drehten sich die meiste Zeit um ihre Tochter oder um organisatorische Fragen rundherum. Sollte Tilde kommen oder wollte er Lea übernehmen, während Lilly den Kongress in der Hofburg über „Pränatale Psychologie“ besuchte. Würde sie ihn zu seinem Abendessen mit Kunden begleiten oder war es besser, bei ihrem gemeinsamen Kind zu bleiben … Unmerklich trat das Liebespaar in den Hintergrund und wurde durch liebende Eltern ersetzt.
    Als Lea ein Jahr alt war, gab es ein großes Fest für sie. Paolo hatte darauf bestanden. Diesmal wurde das Lusthaus im Wiener Prater gemietet und alle, die nur im Entferntesten mit der Familie zu tun hatten, waren dazu eingeladen. Und noch einige dazu, die geschäftlich nützlich waren.
    Lillys Mutter verbrachte bei dieser Gelegenheit ein paar unfreiwillige Stunden mit der Mutter von Oskar. Die Frauen waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Die eine, eine elegante Stadtfrau mit vornehmen Manieren, die andere eine Landfrau, die das „Stadtrepertoire“ durch ihre Ehe mit dem Wiener Kaufmann beherrschte, sich aber nach wie vor nicht dafür interessierte. Die eine sprach nie offen aus, was sie dachte, die andere trat immer wieder durch ihre Ehrlichkeit in Fettnäpfe. Es gab nur eines, was sie einte: die Begeisterung für ihre Enkelin. Oskars Mutter achtete eifersüchtig darauf, dass Lillys Mutter Lea auf keinen Fall öfter auf dem Schoß halten durfte als sie. Lea war das alles egal. Sie schüttelte unwillig ihren Kopf, wenn sie zu lange gefangen war, und brüllte sofort los, wenn ihr etwas nicht passte. Einen Teil des Rummels verschlief sie ohnehin, weil sie von den vielen fremden Gesichtern und den Begeisterungsausbrüchen, wie süß sie sei, nach zwei Stunden total erschöpft war.
    â€žDu solltest nicht erlauben, dass Lea wie ein Zirkuspferd vorgeführt wird“, sagte Ralf, als sie gemeinsam für einen Augenblick frische Luft schöpften.
    â€žDu hast recht“, antwortete Lilly kläglich und fragte sich, wie sie sich gegen Oskar und Paolo durchsetzen sollte.
    Die beiden waren noch immer damit beschäftigt, die Schiffsgeschichte zu regeln, und ließen Gutachten erstellen, suchten Zeugen auf, die bei der Beladung der Esmeralda in Chioggia dabei gewesen waren, und Paolo betrieb intensivstes Lobbying. Lilly hatte alle Hände voll zu tun, ihr Leben als Mutter und berufstätige Frau zu organisieren und nahm Oskars Aktivitäten nur am Rande wahr. Sie vermisste ihren Mann manchmal, wenn es um Leas Versorgung ging. Er hatte sich zum Sonntagsvater entwickelt, und es war klar, dass die „gemeinsame Fürsorge“ nur in der Theorie stattfand. Sybille, die sich gerade vom nächsten Mann getrennt hatte und von Männern, weil ihr Vater aus ihrer Sicht ein „Patriarch und Diktator“ war, sowieso

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