Lillys Weg
Gemüse, getrocknete Früchte, Gewürze aus allen Ländern, seltene Käsesorten, frische Fische, hier gab es alles, was das kulinarische Herz begehrte. Sie wollte Oskar, der gestern von einer Reise zurückÂgekommen war, am Abend mit einem besonderen Menü überÂraschen. Sie schlenderte durch die engen Gänge, wo rechts und links die Händler den Kunden Kostproben ihrer Waren anboten, und wollte gerade um die Ecke biegen, als sie in einer der vielen kleinen Imbissstuben Oskar sah. Er hatte den Arm um eine kleine, sehr hübsche junge Frau gelegt, die bewundernd zu ihm aufsah, obwohl sie fast gleich groà waren.
In Lilly wurde es ganz kalt und still, als ob ihr ganzer Körper seinen Betrieb einstellte. Sie hörte fast auf zu atmen und blieb wie angewurzelt stehen. Als Oskar seine Zunge leidenschaftlich in den Mund der Frau drängte, lief sie in Panik weg. Sie rannte den ganzen Naschmarkt entlang bis hinüber zum Resselpark und setzte sich dort wie gelähmt auf eine Bank. Sie saà noch immer dort, als es schon dunkel wurde. Dann schrak sie auf. Sie hatte die Kinder vergessen. Sie rief ein Taxi und fuhr nach Hause. Oskar machte ihr überrascht die Tür auf: âWo warst du, mein Lieb, Tilde und ich haben uns schon Sorgen um dich gemacht.â Er nahm ihr die Taschen ab und räumte sie mit zufriedenem Grunzen in der Küche aus.
âIch musste noch einmal in die Redaktion zurückâ, log Lilly und konnte ihrem Mann nicht in die Augen schauen.
Beim Abendessen, das Oskar mit den Leckerbissen vom NaschÂmarkt gekocht hatte, beobachtete sie ihn. Er war wie immer. Er fütterte seine Kinder, streichelte ihre Hand, erzählte von seinem Tag â ein liebender Familienvater wie aus dem Bilderbuch. Als er die Kinder zu Bett brachte und nicht wiederkam, weil er bei ihnen eingeschlafen war, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass sie ihn als Mann vergessen hatte. Und er offensichtlich sie als Frau auch. Lilly spürte, wie die Last des Geheimnisses sie erdrückte. Sie konnte es niemandem erzählen und hoffte, dass Oskar sich vielleicht nur einen kurzen Flirt gegönnt hatte.
Vierzehn Tage später kam Ralf in ihr Büro und sagte: âWir waren schon so lange nicht mehr bei Lefti, kannst du dir nicht einmal einen Abend freinehmen?â
Am Anfang war es fast wie früher. Sie aÃen Souvláki, tranken Retsina und redeten über die Zeitung und Gott und die Welt. Nach seinem obligaten Baklava lehnte sich Ralf zurück, seufzte tief und schlug ein Bein über das andere: âEs fällt mir verdammt schwer, aber ich muss es dir sagen. Ich habe Oskar mehrfach mit einer anderen Frau gesehen. Sie ist klein, blond und hat einen Stockerlarsch.â Lilly war schockiert und gleichzeitig erleichtert. Es war kein Geheimnis mehr. Sie brach in Tränen aus und warf sich an Ralfs Brust. Er sagte nichts und hielt sie im Arm wie ein kleines Kind. Für ihn gab es nichts zu sagen. Er hatte dieses Szenario vorhergesehen. Oskar war ein einsamer Wolf. Solche Männer konnte man nicht zähmen. Man ging ihnen aus dem Weg.
Nach dem Abendessen mit Ralf ging Lilly entschlossen nach Hause und wartete auf Oskar. In den letzten Wochen war es oft spät geworden. âGespräche mit Paolo.â Sie hatte von Ralf erfahren, dass die Blonde mit dem Stockerlarsch Rosi hieÃ, Schauspielerin war und sich mit Gelegenheitsjobs als Kellnerin über Wasser hielt. Ralf hatte, bevor er sie informierte, seine geheimnisvollen Verbindungen genützt und wusste, wann und wo die beiden sich trafen. Er sagte Lilly nicht die ganze Wahrheit. Er hatte ihr sein Wissen erspart, dass sie am Vormittag regelmäÃig das Hotel Orient aufsuchten.
Als Oskar kam, war er gut gelaunt und leicht angetrunken: âMeine Elfe, wie schön, dass du auf mich gewartet hast.â
âUnd was sagt deine Rosi dazu?â Lilly hatte alle Strategien, die sie sich zurechtgelegt hatte, vergessen. Sie spuckte den Satz mit schneidender Stimme aus und sah, wie Oskar blass wurde. âBitte, lüg mich nicht an, Oskar. Ich brauche wenigstens deine Ehrlichkeit.â Er schwieg lange, schenkte sich dann einen groÃen Whisky ein und lieà sich aufs Sofa sinken: âIch habe mich verliebt.â
Lilly wurde zu Stein. Sie hörte sich sagen: âDann verlass bitte meine Wohnung und komm wieder, wenn du weiÃt, wo du hingehörst.â
Oskar stand schweigend auf, zog seine Schuhe an und
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