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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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steif war, und beschloss, doch nicht zu flüchten. Er nahm sie an der Hand, half ihr, sich auszuziehen, und führte sie zu einer großen, erhöhten und weich gepolsterten Fläche im Nebenraum, auf der sich mehrere Paare in allen nur erdenklichen Stellungen liebten.
    Lilly merkte, dass sie der Anblick erregte und flüsterte Oskar ins Ohr: „Treiben sie es mit ihren eigenen Partnern?“
    â€žNein, die meisten nicht“, hauchte er zurück und knabberte an ihrem Ohr. Er nahm sie an der Hand, und sie legten sich an den Rand der Spielwiese, die in rotes, schummriges Licht getaucht war. Lilly trug ein lila Korsett, bei dem die Brustwarzen ausgespart waren, und Oskar kämpfte mit den Häkchen aus Metall, die das Teil, das sie in einem Erotikshop gekauft hatte, unten zusammenhielten. Er öffnete ihre Schenkel und führte seine Zunge sanft durch die ihm so vertrauten Landschaften ihrer Lust. Lilly stöhnte und klappte ihre Beine so weit auseinander, dass sie die Frau neben sich berührte. Sie war in ihrem Alter und nahm es als Aufforderung, bei ihnen mitzuspielen. Lilly verspannte sich sofort, und Oskar nahm die Hand der Frau und legte sie sanft zur Seite. Lilly war erleichtert und erinnerte sich an das Schild am Eingang: „Tauschwillig heißt nicht tauschpflichtig.“
    Sie war eindeutig nicht tauschwillig. Gleichzeitig erregten sie die anderen Paare, und sie tauchte in den Rhythmus der Wellen von Geilheit ein.
    Die Kinder waren in ihre eigenen Betten übersiedelt worden. Das hatte Lilly die ersten Nächte gekostet, weil Lea jedes Mal, wenn sie aufwachte, zu ihnen ins Schlafzimmer kam. Sie hatte sie dann geduldig wieder zurückgetragen und war so lange an ihrem Bettchen gesessen, bis sie wieder eingeschlafen war. Niklas war etwas unkomplizierter. Ihm genügte es meistens, wenn sie ihm den verloren gegangenen Schnuller wieder gab.
    Lilly wusste, dass Oskar sie liebte. Daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Ihr Liebesleben hatte die Phase der vollständigen Agonie überstanden, und auch wenn die Ausflüge ins Stundenhotel und in den Swingerklub einmalige Ereignisse blieben, so war ihre sexuelle Empfänglichkeit wieder geweckt. Was Oskar betraf, war sich Lilly nicht so sicher. Er sagte nie Nein, wenn sie die Initiative ergriff, aber er hatte von sich aus selten den Impuls, mit ihr zu schlafen, und sein Begehren blieb meist verhalten.
    Doch sie hatte ohnehin wenig Möglichkeiten, in ihrem Alltag etwas zu vermissen. Die Kinder und die Redaktion unter einen Hut zu bringen, nahm einen großen Teil ihrer zeitlichen und emotionalen Kapazität in Anspruch.
    Kurz bevor das neue Heft von Psychologie Morgen in Druck ging, brauchte Lilly immer eine freie Hand. Dann kam entweder Tilde den ganzen Tag oder Oskar war zwischen seinen Reisen in Wien und übernahm die Kinder.
    Es war kurz nach zwölf, als Lilly nach einer Pressekonferenz zum Thema Demenz vom Café Landtmann Richtung Redaktion ging. Sie war müde und hungrig und ihr Kopf war voll mit Daten und Fakten. Früher hatte man im Bregenzerwald solche Menschen „wîslos“ genannt, und Lilly, die das Wort nie hinterfragt hatte, nahm sich vor zu recherchieren, ob es „wissenslos“ bedeutete. Man steckte die „Wîslosen“ nicht in Heime, sondern sorgte einfach nur dafür, dass sie von Herdplatten ferngehalten wurden, und wenn sie im Nachthemd durchs Dorf liefen, weil sie vergessen hatten, wo sie wohnten, brachte sie jemand ohne große Umstände wieder zurück.
    Lilly dachte traurig an die alte Frau im ersten Stock in der Servitengasse. Sie hatte sie manchmal mit offenem, wirrem Haar vor der Kirche eingefangen und wieder in ihre Wohnung zurückgebracht. Jetzt lebte sie in einem Pflegeheim, weil ihr Sohn und ihre Schwiegertochter sich nicht um sie kümmern konnten oder wollten. Man mochte sich über die Enge auf dem Land beschweren, aber der soziale Zusammenhalt war besser als in der Stadt.
    In der Redaktion war es still. Sie rief nach Ralf. Keine Antwort. Sie sah in Marions Zimmer, leer. Von Sabine, der einzigen angestellten Journalistin, wusste sie, dass sie ebenfalls zu einer Pressekonferenz gegangen war. Die anderen Beiträge von Psychologie Morgen wurden alle von Freiberuflern gestaltet und mussten erst morgen druckfertig vorliegen.
    Sie zog ihren Mantel aus und ging in ihr Zimmer. Der Zettel in Ralfs klarer großer Schrift lag auf ihrem Schreibtisch:

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