Lillys Weg
ging. Lilly wusste, dass die schneidende Kälte, die nicht zu ihrem Wesen passte, ein Erbe ihres Vaters war. Sie war oft genug dabei gewesen, wenn er zu dieser wirkungsvollen Waffe gegriffen hatte. Doch jetzt konnte sie nicht anders.
Es wurde eine elende Zeit ohne Oskar. Sie sagte den Kindern, dass der Papa verreist war, und bemühte sich, ein normales Leben zu führen. Der Schmerz war wie ein groÃes Tier in ihr. Sie konnte nicht essen, sie konnte nicht schlafen, sie vermisste seine dunkle Stimme, seine warme Haut, sein warmes Herz.
Er kam nicht zurück. Lilly wollte ihn zurück. Aber ganz.
Vierzehn Tage können so lang sein wie ein ganzes Jahr.
Die Kinder lagen schon im Bett, Lilly saà wie jeden Abend einfach da und starrte vor sich hin, als das Türschloss ging. Sie hörte, wie Oskar im Vorzimmer die Schuhe auszog. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
âIch kann nicht ohne dich und die Kinder leben, bitte verzeih mir.â Er sah mager und unglücklich aus und hatte sich seit Tagen nicht rasiert. Sie lag in seinen Armen und wusste, dass sie alles tun würde, damit er bliebe.
In dieser Nacht liebten sie sich seit langer, langer Zeit wieder. Und wieder spürte sie eine neue Qualität. Eine Mischung aus Schmerz und SüÃe und eine tiefe Dankbarkeit, dass Oskar wieder da war. Als es Tag wurde, kamen die Zweifel. Wie sollte sie ihm jemals wieder trauen? Wie sollte sie wissen, dass Rosi nicht der Anfang einer nie endenden Kette von Affären war? Wie sollte sie wissen, dass die Beziehung mit dieser Frau wirklich zu Ende war? Oskar bemühte sich, und Lilly bemühte sich. Sie dachte an den Kuchenesser, der alle seine Lieben vor ihr aufgegessen hatte, und wollte nicht, dass er zu ihnen kam.
Auch Lilly hatte keine Erfahrung in länger andauernden Beziehungen. Sie war, so wie er, immer gegangen, noch ehe der Alltag eingekehrt war. Nun war Alltag, und sie stellte fest, dass Erotik harte Arbeit war. Sie fragte sich, wie andere Frauen das schafften. Kinder, Beruf, Liebesleben â¦
Lilly zwang Oskar, mit ihr über Rosi zu sprechen. âWas hat sie, was ich nicht habe? Was hast du mit ihr unternommen, was du mit mir nicht teilen konntest?â
Als Oskar nach langem Zögern ehrlich antwortete, öffnete sich ihre Wunde wieder, und sie wünschte, sie hätte nicht so genau gefragt.
Der erste Schritt, den Lilly nach seiner Beichte plante, war nach dem Kauf von erotischer Unterwäsche eine Zimmerreservierung im Hotel Orient . Und sie überlieà nichts dem Zufall. Mit ihrem Schreibblock bewaffnet spazierte sie vom Schwedenplatz zum Tiefen Graben und recherchierte offiziell für eine Geschichte âDie besten Tipps gegen Ehefrustâ. Sie war noch nie in einem Stundenhotel gewesen und sah sich, ehe sie durch die Tür des berühmten Etablissements trat, auf der StraÃe um. Es wäre ihr peinlich gewesen, wenn jemand sie dabei beobachtet hätte. Es gab keine Rezeption, sondern nur eine kleine Portiersloge. Die ältere Dame, mit einem seriösen, grauen Haarknoten, die mit einem Zimmermädchen sprach, das mit einem Berg schmutziger Wäsche im Arm vor ihr stand, fragte sie überrascht nach ihren Wünschen. Sie sah an ihrem Blick, dass sie sich wunderte, warum sie alleine war.
âIch schreibe eine Geschichte und möchte gerne einige der Zimmer sehen.â Die Frau war wenig beeindruckt und zeigte auf einen Raum direkt gegenüber: âWir haben ständig Pressebesichtigungen, das kann ich nicht selbstständig erlauben. Ich muss erst mit dem Besitzer telefonieren, warten Sie bitte in der Bar.â
Lilly setzte sich auf die rot gepolsterte Lederbank, die die ganze Längsseite des Raumes einnahm, und legte sich auf einem der kleinen schwarzen Tische, die davor standen, ihr Schreibzeug zurecht. Ihr scharfes Journalistinnenauge machte eine schnelle Bestandsaufnahme: Tapete mit roten Pfingstrosen,
Bar aus schwarz lackiertem Holz, hinter dem Tresen kleine, rote Lämpchen, die den Raum in schummriges Licht tauchten.
Direkt gegenüber ein groÃes Gemälde mit einer liegenden Frau, rechts an der Wand ebenfalls ein Bild mit dem Porträt einer Frau.
In diesem Augenblick kam die Empfangsdame und folgte Âihrem Blick. âDas ist Katharina Schratt, die Geliebte Kaiser Franz Josephs. Ihr Name wurde in den alten Auftragsbüchern gefunden, eines der beiden Luxuszimmer wurde daher âKaisersuiteâ genannt. Die Legende
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