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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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„Komm sofort nach Hause, Oskar ist verhaftet worden.“
    Der Taxifahrer, mit dem sie fuhr, war ein alter Mann, der es nicht mehr eilig hatte in seinem Leben. Er hatte längst aufgehört, sich an Lob zu erfreuen, und nickte emotionslos, als sie ihn anflehte, so schnell wie möglich zu fahren. Jede Ampel, bei der er nicht bei Orange fuhr, war eine körperliche Qual für Lilly. Die Angst pulsierte durch ihren ganzen Körper, und als er bei der Rossauerkaserne einem Autofahrer galant den Vorrang ließ, hätte sie ihn am liebsten geschlagen.
    Ralf saß mit Lea und Niklas auf dem weißen Sofa im Wohnzimmer und las ihnen aus ihrem Lieblingsbilderbuch vor. Als sie die Eingangstür hörten, liefen sie ihr entgegen, warfen sich in die Arme ihrer Mutter und fingen bitterlich an zu weinen. Lilly setzte sich einfach, so wie sie hereingekommen war, im Mantel auf den Boden im Vorzimmer und wiegte sie in ihren Armen. Ralf kam dazu und legte seine Arme um alle drei. So saßen sie für ein paar Minuten, und Lilly sang, bis sie sich beruhigt hatten. Dann sagte sie beschwörend: „Der Papa kommt wieder, ich verspreche es euch.“ Als die beiden später, nach einer Tasse heißem Kakao, vor Erschöpfung eingeschlafen waren, legte Lilly sie vorsichtig in ihre Betten und kam dann zu Ralf ins Wohnzimmer zurück.
    Sein Bericht war knapp und klar:
    â€žEs war zehn Uhr, als das Telefon läutete und Oskar am ­Apparat war. Ich war so überrascht, dass mir fast der Hörer aus der Hand gefallen wäre. Er sagte nur: ‚Um Gottes willen, wo ist Lilly, sie muss sofort nach Hause kommen.‘ Ich wusste, dass ich dich nicht erreichen konnte und habe nur gesagt: ‚Sie ist nicht da, ich komme.‘ Oskar saß mit den Kindern und zwei Polizisten in der Wohnung. Sie waren vor der Tür gestanden, als er mit den beiden das Haus verlassen hatte. Sie wollten ihn mitnehmen und die Kinder aufs nächste Polizeikommissariat bringen, wo man sie aufbewahren würde, bis du wieder auftauchst.“
    Lilly fing an zu weinen, um Oskar, der im Untersuchungs­gefängnis war, aber noch mehr um ihre beiden Kinder. Sie hatten mit ansehen müssen, wie ihr Vater in Handschellen abgeführt wurde.
    Oskar war blass und nur an der Oberfläche gefasst, als sie ihn besuchen durfte. Lilly sah die Panik in seinem Blick und regis­trierte nebenbei, dass er seine Kiefer zusammenpresste, um nicht zu weinen. Sie nahm ihn in die Arme und wusste, dass der Beamte, der ihr dabei zusah, den Auftrag hatte, sie keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Sie war noch nie in einem Gefängnis gewesen und spürte die Angst und die Hoffnungslosigkeit, mit denen die dicken Mauern getränkt waren. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass Oskar in dieser trostlosen Umgebung länger als ein paar Stunden bleiben sollte. Sie sprachen leise, aber der Beamte, der am Rand des winzigen Besucherzimmers auf einem Sessel wachte, las jede Silbe von ihren Lippen ab.
    â€žSie haben Paolo und mich gleichzeitig verhaftet. Ich weiß den genauen Grund noch nicht, ich muss warten, bis Klarian mich besuchen kommt.“ Dr. Norbert Klarian war einer der Anwälte von Paolo und der Kopf der Verteidigungsstrategie im „Fall Esmeralda“. Als Lilly nach zehn Minuten gehen musste, küsste sie Oskar, als der Beamte eine Sekunde abgelenkt war, um den Raum aufzusperren, noch einmal innig auf den Mund.
    Lilly rannte. Weg von diesem grauen Haus mit den vergitterten Fenstern. Ihr Kopf war leer, sie zitterte am ganzen Körper, und als sie an einem der vielen kleinen Parks vorbeikam, in denen Wien seine Hundescheiße aufbewahrte, ließ sie sich auf eine der hölzernen Bänke fallen, weil ihre Füße ihr den Dienst versagten. Sie dachte an Oskar, der jetzt in einer Zelle saß, und an Lea und Niklas, denen sie das erklären musste. Sie dachte nicht an sich selbst. Dafür gab es keinen Raum. Weder für den Schmerz noch für den Zorn, dass ihr Mann in Geschäfte verwickelt war, die ihn in Untersuchungshaft brachten.
    Nach einer Weile stand sie entschlossen auf, straffte ihre Schultern, so wie sie es bei ihrem Vater oft gesehen hatte, ging Richtung Kärntnerring und betrat, ohne sich anzumelden, die Kanzlei von Klarian. Die Sekretärin hob hilflos die Hand, als sie wortlos an ihr vorüberging und die Tür zu seinem Zimmer aufriss. Sie war nur einmal hier gewesen, als sie Oskar nach einem

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