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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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prügelten, einander beschimpften und sich mit Koffern anrempelten. Sie lächelte einem älteren Mann zu, der nahe dem Herzinfarkt war, weil jemand ihm den Platz weggeschnappt hatte, den er schon sicher glaubte.
    â€žIn Bezug auf den Tod ist das ein sehr vorübergehendes Ereignis“, murmelte Lilly. Er starrte sie einen Augenblick an, dann brach er in schallendes Gelächter aus: „Danke, dass Sie mich erinnern.“ Er setzte sich mitten im Gang auf seinen Koffer, holte eine Dose Bier aus seiner Tasche und prostete ihr zu.
    Am Abend gab es Kässpätzle in der Stube und eine neugierige Mutter. Lilly zögerte. Durfte sie die Frage stellen, die ihr auf der Zunge brannte, oder wühlte sie dann in alten Wunden?
    â€žNun sag schon, ich hör’ dich denken.“
    â€žMama, wenn du damals in Wien gewusst hättest, dass du bald sterben müsstest, wärst du dann bei Papa geblieben? Hättest du dann diesen kostbaren, langen Rest deines Lebens mit ihm verbracht?“
    Ihre Mutter seufzte, stand auf und drehte ihr den Rücken zu, als sie zum Schrank mit dem Wacholderschnaps ging: „Nein, sicher nicht.“ Sie kam mit der Flasche und den Gläsern für die „Medizin“ zurück, und Lilly sah noch einen kurzen Augenblick, dass in ihren Augen Tränen standen, die sie sofort mit einem Lächeln wieder verdrängte.
    Dann begann sie zu erzählen: „Es war eine schlimme Zeit. Dein Vater und ich wussten schon, dass es keine Lösung für uns gab. Die Liebe ist auf Dauer nicht genug, wenn die Welten fremd sind und sich nicht verbinden lassen. Wir hatten schon lange auf ein Kind gewartet, aber es klappte nicht, obwohl ich erst neunundzwanzig war. Ich war so depressiv, dass er sich Sorgen um mich machte. Und dann wurde ich schwanger. Ich saß in unserer Wohnung und brütete vor mich hin. Ich hatte keine echten Freunde, und die Idee, dass ich mit der Straßenbahn in einen Park fahren musste, wenn ich in die Natur wollte, kam mir pervers vor. In den Wienerwald durfte ich nicht allein, das war zu gefährlich, behauptete meine Schwiegermutter. Damals lebte sie kurzfristig bei uns in der Porzellangasse. Sie hatte ihre Wohnung am Schwedenplatz nach dem Tod ihres Mannes vermietet und bereitete ihre Übersiedlung nach Lyon vor. Sie war ganz außer sich vor Freude, dass sie ein Enkelkind bekommen sollte, und blieb in Wien. Sie bewachte mich wie eine kostbare Zuchtstute. Ich musste bestimmte Dinge essen, dieses tun und jenes nicht … Ich habe alles über mich ergehen lassen und mir gleichzeitig große Hoffnungen gemacht, dass mein Leben besser wird, wenn du einmal da bist. Dein Vater, dieser große, starke Mann, stand ebenfalls unter der Kuratel seiner Mutter. Sie war täglich am Schwedenplatz in der Schirm­fabrik, saß mit einem taubengrauen Seidenkleid im Kontor und prüfte jede Rechnung. Wenn ich etwas tat, was sie als unpassend empfand, sagte sie ‚typisch Bäuerin‘.“
    Lilly dachte an Mémé, die sie so heiß geliebt hatte, und wunderte sich, dass Menschen so unterschiedliche Gesichter haben konnten.
    Das war es also, was sie in Mutters Bauch und später während ihrer Kindheit in Wien erlebt hatte. Sie dachte an die Spiegelneuronen in ihrem Gehirn und war nicht mehr so sicher, dass sie ein glückliches Kind gewesen war. Beim Abschied umarmte ihre Mutter sie noch inniger als sonst: „Ich wünsche dir so sehr, dass du für dich und die Kinder eine gute Entscheidung treffen kannst. Und nimm mich nicht als Vorbild. Das war damals. Heute müssen sich Frauen nicht mehr opfern.“
    Was war das Opfer? Lilly wusste es nicht. War es schwerer, auf Oskar zu warten oder ihn endgültig zu verlassen?
    Er holte sie mit den Kindern am Westbahnhof ab. Sie lachte und weinte zugleich vor Freude, als sie Lea und Niklas endlich in die Arme schließen konnte. Sie überdeckte sie mit Küssen, roch den vertrauten Duft ihrer Haut und wiederholte viele Male: „Ich habe euch so vermisst, ich habe euch so vermisst!“ Oskar stand lächelnd da und wartete geduldig. Als Lilly sich endlich aus der Umarmung löste, wusste sie nicht, welche Frau in ihr gewinnen sollte. Die eine, die Oskar einfach umarmen wollte, oder die andere, die eine Trennung verlangte, weil sie genug gelitten hatte.
    Letztendlich trafen die Kinder für diesen Augenblick die Entscheidung. Sie schoben ihre Eltern zusammen und drängten

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