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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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mein drittes Kind. Er genießt meine Fürsorge und meine Zärtlichkeit, ich verberge alles vor ihm, was ihn belasten könnte. Wenn er wieder alleine ist, muss er der Starke sein, dann muss er mit der Angst, der Einsamkeit und der Ungewissheit zurechtkommen. „Du bist meine Tankstelle“, sagt Oskar, und ich weiß, dass es stimmt. Aber wo tanke ich? Ich kann hier, in unserer selbst gewählten Isolation, nicht mit Ralf, Johanna und Ella reden. Die nächste Telefonzelle ist zwanzig Minuten weit entfernt. Sie steht mitten im Ort, direkt neben der Post, und wir dürfen nicht auffallen. Ich schreibe an die drei und an Mama Rundbriefe, die nur an eine einzige sichere Adresse gehen und von dort persönlich verteilt werden. Es dauert lange, bis sie von Wien in den Bregenzerwald kommen, aber alles andere ist zu gefährlich. Diesen Rundbrief wirft Letizia in den Postkasten. Sie weiß nichts davon, dass es mein einziger Kontakt nach außen ist. Oskar hat ihr bis heute nicht gesagt, dass wir uns hier verstecken.
    Seit ich die Wesen am Wasser hören kann, suche ich bewusst die Stille. Mir war bisher nicht klar, dass diese Fugen in meinem Leben, die nicht mit Beschäftigung ausgefüllt sind, so wichtig sind. Nur wenn es einen leeren Raum dafür gibt, können die Fügungen aus anderen Ebenen zu uns kommen.
    Gestern habe ich eine besonders schöne Nachricht gehört:

    â€žUnd wo immer du hingehst, gibt es Schwarz und Weiß.
    Und welche Seite du wählst, bestimmst du selbst.
    Und wenn du die weiße Seite wählst, dann werden
    dich die dunklen Schatten verfolgen.
    Aber nur ein wenig.“

    Der Wind bestätigt mit einem Rauschen in den Bäumen, dass alles gut wird, und kräuselt die Wellen auf dem See. Ich will die Nachricht so verstehen, dass Oskar nichts passiert. Es geht um ihn und nicht um mich.
    Die andere Wahrheit gibt es auch. Ich bin keine glückliche Frau und Mutter auf Urlaub. Ich bin mit meinem Mann auf der Flucht und habe ständig Angst. Angst, dass sich jemand zufällig in unser Refugium verirrt, Angst, dass Oskar bei seinen unvorsichtigen Ausflügen von einer Verkehrskontrolle geschnappt wird. In der ersten Woche verschwand er für ein paar Stunden mit dem Range Rover, und als er zurückkam, hatte er zwei auffällige, rot-gelb lackierte Mountainbikes im Auto. Er strahlte wie ein Kind: „Meine Elfe, ab jetzt können wir größere Ausflüge machen.“ Letizia hatte ihm schon vor unserer Ankunft für die Kinder zwei alte Fahrräder überlassen. Sie stammen von ihren Enkeln, die längst erwachsen sind und in den USA leben.
    Unser erster Ausflug mit den Fahrrädern führt uns am See entlang. Brote, Wasserflaschen und Saft in den Packtaschen. Regenmäntel besitzen wir noch keine. Es ist ein strahlender Tag, wir werden sie nicht brauchen. Wir baden in kleinen Buchten, lassen unsere Haut von der Sonne trocknen und teilen unser Picknick mit den Enten und Schwänen.
    Wenn das Glück kommt und mein schweres Herz leicht wird, dann will ich, dass es so lange wie möglich bleibt. Eigentlich sollten wir längst umkehren. Aber es ist wie eine Sucht. Das Gefühl von Freiheit, der Fahrtwind im Haar, die glücklichen Kinder, die vor uns fahren, die neue Landschaft, die keiner von uns kennt, treiben uns voran.
    Als das Gewitter kommt, sind wir fast drei Stunden von unserem Haus entfernt. Wir stellen uns unter, aber es hört nicht auf. Es verwandelt sich ohne Übergang in Dauerregen. Ich spüre die Redewendung „aus heiterem Himmel“ hautnah. Wir müssen zurück. Am Anfang ist es für Lea und Niklas noch ein schönes Spiel. Sie fahren durch jede Pfütze und halten ihre kleinen Gesichter jauchzend in den Regen. Doch bald werden sie müde und frieren. Als Lea ein Schild sieht, auf dem „Gasthaus 200 Meter“ steht, tröstet sie ihren Bruder: „Wir können bald rasten, halte noch ein bisschen durch.“
    Es ist ein kleiner Ort, in dem das typische Holzhaus im länd­lichen Baustil steht. Vor der Tür laden eine große Breze und ein Bierkrug aus Plastik zum Verweilen ein. Oskar und ich sehen einander an. Dann schüttle ich den Kopf. Es stehen viele Räder vor der Tür, hier haben sich schon andere ins Trockene geflüchtet. Wir dürfen uns nicht in Gefahr bringen. Ich sehe auf unsere teuren, bunten Räder und wünschte, dass Oskar daran gedacht hätte, dass sie zu

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