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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate E. Daimler
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es mit ihrer Sorge, dass eines der Kinder vielleicht einmal ins Bett machen könnte, weil es schlecht träumte. Sie hatte ein Duftöl aus Wien mitgebracht, und wenn sie sich jetzt in der Nacht gegen­seitig massierten und ihre glitschigen Körper aneinander rieben, war es fast wie früher.
    Auf eine gewisse Weise lebte die ganze Familie in einer Fantasiewelt. Es gab keine anderen Menschen, nur Letizia, die manchmal vorbeikam. Es gab keine Zeitungen, keine Hiobsbotschaften, keine Aggressionen, keine schlechte Laune und keinen Streit. Jeder von ihnen, auch Lea und Niklas, war sich bewusst, dass die Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, ein Ablaufdatum hatte wie eine Konservendose. Sie sah das Wort „konservieren“ vor sich und bemerkte, dass es auch für ihre Situation stimmte: Jetzt mussten sie kostbare Gegenwart anhäufen, damit sie später, wenn der Alltag ohne Oskar wieder einkehrte, von den Erinnerungen zehren konnten. Sie dachte daran, dass Österreich die „Insel der Seligen“ genannt wurde. Man muss vieles ausblenden, damit dieser Satz Wahrheit wurde.
    Einige Tage vor ihrer Abreise kam Letizia vorbei und lud sie zu einem Abendessen in ihr Haus ein. Lilly wollte Lea und Niklas nicht alleine in der Hütte lassen und diskutierte mit Oskar, der das übertrieben fand: „Wir sind doch nur einen Steinwurf weit weg.“ Sie sagte ihm nicht, dass sie etwas wiedergutzumachen hatte, dass sie ihre Kinder schon einmal im Stich gelassen hatte. Damals hatte sie sich geschworen, dass das nie mehr vorkommen durfte. Sie ließ Oskar, der sie mit unterdrückter Gereiztheit aufforderte, ihren Muttertrieb nicht zu übertreiben, einfach stehen und ging mit ihrem Tagebuch an den See und blätterte zurück.
    Ich liege mit unseren Kindern in einem Zelt. Es ist groß genug für vier. Wir warten auf Oskar. Das Picknick, das ich vorbereitet habe, haben wir ohne ihn gegessen. Die Situation ist absurd. Neben uns, ein paar hundert Meter weiter, liegt der Tennisklub, in dem wir manchmal spielen. Mein Vater hat mir, als ich vier Jahre alt war, einen Tennisschläger gekauft und mich trainiert. Er war begeistert von meinem Talent. Aber im Bregenzerwald gab es kein Verständnis für diesen „Firlefanz“. „Meor bruchôd kan Sport, meor wedod vom Veahhüotô mûod.“ 10
    Oskar ist ein begeisterter Tennisspieler, und als er in mein Le­ben kam, kehrte auch das Spiel auf dem roten Sand zurück. Am Anfang, als ich noch hoffte, dass die Beziehung zu Sybille ein kalter Windhauch ist, der vorüberzieht, haben wir unsere wöchentliche Tennisstunde aufrechterhalten. Meistens war das meine einzige Gelegenheit, um ihm, ohne dass die Kinder zuhören konnten, Vorwürfe zu machen. Seit ich im Zorn meinen Schläger nach ihm übers Netz geworfen habe, spielt er nicht mehr mit mir.
    Die große Wiese am Strand der Alten Donau, auf der wir unser Zelt aufgeschlagen haben, gehört zum Badestrand des Klubs. Unsere Wohnung ist mit dem Auto eine Viertelstunde weit entfernt. Lea und Niklas haben sich ein Campingabenteuer mit uns gewünscht. Oskar und ich können nicht miteinander verreisen, weil er Sybille liebt. Wenn er Zeit hat wegzufahren, dann mit ihr. Es ist meine Idee gewesen, dass wir den Kindern zuliebe eine gemeinsame Nacht hier verbringen sollen. Ich missbrauche sie, aber es ist mir nicht bewusst. Ich hoffe, dass die Nähe im Zelt, dass dieses gemeinsame Erlebnis ihn daran erinnert, was er verliert, wenn er sich nicht besinnt. Ich bin eine Idiotin. Das wusste ich nur viel zu lange nicht.
    Die Kinder schlafen. Oskar ist immer noch nicht da. Ich stehe auf und schleiche leise aus dem Zelt. Sie haben einen guten Schlaf. Ich werde nicht lang weg sein. In der Sauna schwitze ich mir meinen Ärger und meinen Frust heraus. Sie liegt im ersten Stock des Tennisklubs, und wenn ich auf die Terrasse trete, sehe ich unser Zelt in der Ferne.
    Als Lea im Pyjama weinend in die Sauna kommt, überlege ich mir gerade, ob ich noch einen Aufguss machen soll: „Wo bist du, Mama? Der Niklas ist aufgewacht und hat aus Angst ins Zelt gekackt.“
    Lilly atmete tief durch. Es war gut, dass sie die Geschichte aufgeschrieben hatte. Sie nahm den Zorn, der in ihr aufgestiegen war, hob einen Stein auf, warf ihn ins Wasser und schickte den alten Groll mit. Das war Vergangenheit. Endgültig.
    Als sie zurückkam, hatte Oskar schon eine Lösung gefunden. Er schlug

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