Lily und der Major
er. »Und das habe ich auch
nicht vor. Lily, am nächsten Samstag findet im Fort ein Offiziersball statt.
Möchtest du mich auf den Ball begleiten?«
Sie zögerte, suchte ganz
offensichtlich nach einem Grund, seine Einladung abzulehnen. »Ich habe kein
passendes Kleid ...«
»Das wäre kein Problem. Ich habe
eine Freundin, die dir etwas besorgen kann.«
Lilys Augen wurden schmal. »Eine
Freundin?« wiederholte sie stirnrunzelnd.
Caleb hätte am liebsten laut gelacht
vor Freude. Sie war eifersüchtig! »Du hast sie gestern kennengelernt – Mrs. Tibbet.«
»Ihre Kleider würden mir nie
passen«, wandte Lily ein. »Nein«, gab Caleb zu. »Aber die ihrer Nichte schon.«
Er wußte nun, daß sie zu dem Ball
kommen wollte, und das erfüllte ihn mit einem wilden Triumphgefühl.
»Wo würde ich dann übernachten? Das
Fort liegt doch mindestens zehn Meilen von Tylerville entfernt?«
»Bei Colonel und Mrs.
Tibbet. Bessere
Anstandsdamen gibt es vermutlich in der ganzen Gegend nicht.«
Lily lächelte unsicher, aber der
Eifer, den ihr Blick verriet, rührte Caleb ans Herz. »Ich war noch nie auf
einem Ball«, sagte sie sehnsüchtig. »Würde ich dann noch eine Schachtel
Pralinen bekommen?«
»Nur wenn du versprichst, sie in
meiner Gegenwart zu essen«, erwiderte Caleb und dachte an die Qualen, die er
ausgestanden hatte, als sie mit verzückter Miene die Praline in ihrem Mund
hatte zergehen lassen. In Erinnerung daran küßte er sie noch einmal auf die
Lippen, bevor er sie zum Haus zurückbegleitete und sich verabschiedete.
3
Am
nächsten Morgen,
als Lily noch beim Frühstück saß, kam Gertrude Tibbet zu Besuch.
»Hallo,
Lily«, sagte die ältere Dame freundlich.
»Guten
Morgen, Mrs. Tibbet. Möchten Sie sich nicht setzen?«
»Danke,
aber ich habe nicht viel Zeit. Caleb sagte mir, er hätte Sie zum Offiziersball
am kommenden Samstag eingeladen.«
Lily nickte
bedrückt. Eigentlich hätte sie die Einladung ablehnen müssen, aber sie war
noch nie auf einem Ball gewesen, und vielleicht war dies ihre einzige Chance.
»Ja, Madam.«
Gertrude Tibbet lächelte. »Er sagte
auch, Sie wären sehr besorgt um Ihren guten Ruf und kämen nur, wenn entsprechende
Vereinbarungen für Ihre Übernachtung getroffen wären.«
Lily errötete heiß. Was mochte der Major
Mrs. Tibbet sonst noch alles erzählt haben? »Das stimmt«, antwortete sie
schließlich und begann den Tisch abzuräumen, weil sie nervös war und etwas mit
ihren Händen anfangen mußte.
Mrs. Tibbets schmale Schultern
strafften sich, als sie tief Atem holte. »Nun gut, das Problem habe ich gelöst.
Der Colonel und ich wären entzückt, wenn Sie am Samstag abend unsere Gastfreundschaft
akzeptieren würden. Major Halliday könnte Sie am Sonntagnachmittag nach
Tylerville zurückbringen.«
Lily machte große Augen. »Das ist
sehr großzügig von Ihnen, Mrs. Tibbet, aber wissen Sie, ich habe ...«
»Kein Kleid, ich weiß«, unterbrach
die Frau des Colonels sie lächelnd. »Machen Sie sich darüber keine Sorgen.
Sandra wird schon etwas haben, was Ihnen paßt.«
Lily zögerte. »Ich ... ich müßte
meine Hauswirtin fragen.« Mrs. Tibbet zog ihre grauen Augenbrauen hoch. »Ihre
Hauswirtin?«
Lily seufzte und senkte die Stimme
zu einem Flüstern. »Sie ist ziemlich streng. Wenn ich mir ihre Mißbilligung
zuzöge, hätte ich keinen Platz mehr, wo ich leben kann.«
»Ich verstehe«, sagte Mrs. Tibbet,
aber sie wirkte sehr verwirrt.
»Wenn Sie hier warten«, sagte Lily
hoffnungsvoll, »kann ich Ihnen gleich eine Antwort geben.«
Mrs. Tibbet nickte, und Lily eilte
aus dem Raum.
Als sie zurückkam, verriet ihr
Strahlen, daß Mrs. McAllister keine Einwände erhoben hatte. Die Frau des
Colonels lachte, als sie Lilys Miene sah. »Sie brauchen nichts zu sagen, meine
Liebe«, meinte sie freundlich. »Ich sehe schon, daß Ihre Hauswirtin großzügig
war.« Sie umarmte Lily flüchtig, dann trat sie zurück. »Am Samstag morgen fährt
eine Kutsche nach Fort Deveraux hinaus«, fügte sie hinzu und drückte Lily ein
Geldstück in die Hand. »Das ist das Fahrgeld.«
Lily glaubte plötzlich, Besuch von
einer Märchenfee zu haben. »Vielen Dank«, sagte sie bewegt, bevor Mrs. Tibbet
die Tür öffnete und das Haus verließ.
Eine ganze Kompanie Soldaten ritt
durch die Straße vor dem Hotel, als Lily kurz darauf zur Arbeit ging. Doch
obwohl einige der Männer neugierig in ihre Richtung blickten, wurden keine
dreisten Zurufe laut.
Ein Blick zur Spitze der Parade
verriet Lily den Grund
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