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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Gemeinschaft aller chinesischen Hacker schien einen feierlichen Eid geleistet zu haben, die Diamantmauer in tausend Stücke zu zersprengen, auch Aktivisten rund um den Globus arbeiteten daran, etliche in Büros europäischer, indischer und amerikanischer Konzerne, Geheimdienste und Regierungsstellen. Die Welt befand sich im Cyberkrieg, und China als Aggressor der ersten Stunde gab das Hauptangriffsziel ab.
    »Daran gemessen«, erklärte Tu, »waren Yoyos erste Schritte im Netz der reinste Kindergeburtstag. Sie nahm mit empörten Kulleraugen die Zensur aufs Korn und schrieb fett ihren Namen darunter. Sie plädierte für Meinungsfreiheit und verlangte Zugang zum Informationsbestand von Google, Alta Vista, und so weiter. Sie trat in den Dialog mit Gleichgesinnten, die meinten, Chaträume ließen sich gegen unerwünschte Eindringlinge verriegeln wie Besenkammern.«
    »War sie wirklich so naiv?«
    »Anfangs schon. Klar, dass sie Hongbing imponieren wollte. Sie dachte allen Ernstes, in seinem Sinne zu handeln. Dass er stolz wäre auf seine kleine Querulantin. Doch Hongbing reagierte mit Entsetzen.«
    »Er versuchte, ihre Aktivitäten zu unterbinden.«
    »Yoyo war völlig perplex. Sie konnte es nicht verstehen. Chen schaltete auf stur, und ich sage dir, er kann stur sein wie ein Panzer! Je mehr Yoyo ihn drängte, seine ablehnende Haltung zu begründen, desto mehr verhärtete er sich. Sie argumentierte. Er schrie. Sie heulte, er redete nicht mit ihr. Natürlich begriff sie, dass er Angst um sie hatte, aber sie hatte ja nicht zum Sturz der Regierung aufgerufen, nur ein bisschen gemeckert.«
    »Also hat sie sich dir anvertraut.«
    »Sie äußerte die Vermutung, ihr Vater sei einfach nur feige. Ein Zahn, den ich ihr ohne Betäubung zog. Ich erklärte ihr, Hongbings Beweggründe besser zu verstehen als sie, was sie erst recht erbitterte. Natürlich wollte sie wissen, warum Hongbing seiner eigenen Tochter nicht traue. Ich antwortete ihr, dass sein Schweigen nicht das Geringste mit mangelndem Vertrauen zu tun habe, sondern mit Privatsphäre. – Hast du Kinder, Owen?«
    »Nein.«
    »Kleine Kaiser, Owen!«
    Kleine Kaiser. Jericho versteifte sich. So ein Idiot! Kaum dass ihn die Bilder aus dem Gewölbe in Shenzhen mal ein paar Stunden nicht quälten, fing Tu von kleinen Kaisern an.
    »Ebenso strahlend wie fordernd«, fuhr Tu fort. »Auch Yoyo. Nun, ich machte ihr klar, dass ihr Vater ein Recht auf sein eigenes Leben habe, dass der Umstand ihrer Geburt ihr nicht das Recht gebe, in die geheimen Paläste seiner Seele vorzudringen. Kinder verstehen das nicht. Sie glauben, Eltern seien eine Art Dienstleister, nur existent, um ihnen den Hintern nachzutragen, zu Anfang nützlich, dann dämlich, am Ende peinlich. Sie konterte, Hongbing sei der Urheber allen Streits, er versuche ihr Leben zu kontrollieren, und damit hatte sie dummerweise recht. Hongbing hätte ihr klarmachen müssen, was ihn so aufbrachte.«
    »Aber er tat es nicht. Und? Hast du es getan?«
    »Er würde niemals erlauben, dass ich mit Yoyo darüber spreche. Mit niemandem! Also habe ich Brücken gebaut. Sie wissen lassen, dass ihrem Vater einst großes Unrecht widerfahren ist, und dass niemand mehr unter seinem Schweigen leidet als er selbst. Ich bat sie, geduldig mit ihm zu sein. Mit der Zeit begann Yoyo, meine Haltung zu respektieren, sie wurde sehr nachdenklich. Von da an vertraute sie sich mir regelmäßig an, was mich ehrte, ohne dass ich mich darum gerissen hätte.«
    »Und Hongbing wurde eifersüchtig.«
    Tu lachte leise, ein seltsames, trauriges Lachen.
    »Niemals würde er das zugeben. Was ihn und mich verbindet, geht tief, Owen. Aber natürlich gefiel es ihm nicht. Es war unausweichlich, dass sich die Fronten verhärteten. Yoyo beschloss, den Ton im Netz zu verschärfen, testete die behördlichen Reizschwellen aus. Dann wiederum schrieb sie über Alltägliches, Szene, Musik, Filme und Reisen, verfasste Gedichte und Kurzgeschichten. Ich schätze, ihr war nicht ganz klar, was sie sein wollte: eine ernst zu nehmende Journalistin, eine Dissidentin oder einfach nur ein weiteres Shanghai Baby.«
    »Shanghai Baby – war das nicht auch ein Buch von –«
    »Mian Mian.« Tu nickte. »Anfang des Jahrtausends nannte man so junge Shanghaier Schriftstellerinnen. Inzwischen ist der Begriff aus der Mode gekommen. Nun, du hast sie ja gesehen. Sie machte sich einen Namen in Künstlerkreisen, zog das Interesse der Intellektuellen auf sich, doch eine Schriftstellerin?« Tu schüttelte

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