Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Kokospalmschnaps und Whisky in sich hineinzukippen und die Gastgeber mit rassistischen Bemerkungen zu überziehen, sobald niemand hinhörte, war er auf Integration bedacht, mietete eine hübsche, kleine Wohnung in einem innerstädtischen Viertel Neu-Delhis und entwickelte eine Leidenschaft für Currys und Gewürzmärkte. Von Natur aus niemand, der übermäßig schnell Freundschaften schloss, wuchsen ihm Kultur und Menschen über die Jahre dennoch ans Herz, sodass er vorübergehend mit der Vorstellung liebäugelte, sich ganz am Yamuna niederzulassen. Sofern er nicht gerade seinem Job nachging, der betrügerisches Geschick und ein Höchstmaß an Verlogenheit erforderte, versuchte er, ein ganz normales Leben zu führen, getreu der Landesdevise Satyameva Jayate: Allein die Wahrheit siegt. Die Janusköpfigkeit seiner Existenz belastete ihn nicht, sondern half ihm, Hanna, den Bürger, von Hanna, dem Lügner konsequent abzukoppeln, sodass sie einander niemals im Wege standen.
    Auch jetzt, seine Aufgabe vor Augen, genoss er die Fahrt, erfreute sich an der endlosen Weite des Mare Imbrium, am Spiel der Schatten um Plato, an der bedrohlichen Schroffheit des näher rückenden Polgebirges, am rapiden Aufstieg. Wieder umfing ihn die Dunkelheit der beschatteten Krater, während der Zug die Schneise zwischen Peary und Hermite emporraste, der amerikanischen Mondbasis entgegen, 700 Stundenkilometer schnell.
    Dann, unvermittelt, wurde er langsamer.
    Und hielt.
    Einsam hing der Lunar Express in einer Bergflanke, mitten im Niemandsland der polaren Kraterregion, keine 50 Kilometer von der Basis entfernt. Hanna stand auf und ging in den mittleren Teil des Zuges, wo Spinde den Durchgang säumten, mit Rollläden verschlossen. Einen davon schob er hoch und erkundete mit raschem Blick den Baukasten dahinter, studierte die Montageanleitung an der Rückwand, wuchtete eine ovale Plattform mit ausklappbaren Teleskopstützen heraus, acht kleine Kugeltanks, schwenkbare Düsen an Auslegern, zwei geladene Akkus sowie eine massive, in Griffe mündende Stange, zwischen denen ein Display erglänzte. Der Zusammenbau ging einfach vonstatten, schließlich war der Grasshopper für Notfälle entwickelt worden, wozu gehörte, dass die Reiseleiter ausfielen und die Fahrgäste auf sich selbst gestellt waren. Fertig montiert, ruhend auf seinen Federbeinen, bot er zwei Astronauten Platz, deren vorderer die Steuerung bediente. Hanna bugsierte ihn zur Luftschleuse, ging zurück zu den Spinden, förderte einen Werkzeugkasten und ein Messgerät zutage und verstaute beides in einer Bodenklappe des Grasshoppers. Dann setzte er seinen Helm auf und ließ den Anzug die üblichen Selbsttests durchführen, bevor er das Absaugen der Luft einleitete. Nach wenigen Sekunden öffnete sich das Außenschott. Er bestieg den Hopper, zog seinen Computer hervor, befestigte ihn seitlich der Armaturen und öffnete die Außenluke.
    Das Gerät nahm die Peilung vor.
    Gespannt gab er dem Grasshopper die Koordinaten ein. Das LPCS gestattete ihm, das Paket zu orten. Erleichtert registrierte er, dass es noch kommunizierte, ansonsten wäre jede Chance dahin gewesen, es in der zerklüfteten Einöde zu finden. Die elektronischen Systeme funktionierten, also musste die Mechanik das Problem sein. Mit einem Feuerstoß hob der Grasshopper ab und beschleunigte. Um nicht an Höhe zu verlieren, musste er ständig Gegenschub erzeugen, während die schwenkbaren Düsen der Richtungsänderung dienten. Flugmaschinen vom Format eines Grasshoppers waren naturgemäß auf einen limitierten Aktionsradius beschränkt, doch wirkte sich das Fehlen tragender Luftschichten auch positiv aus, da keine atmosphärische Reibung den einmal entwickelten Schub bremste. Bei Spitzengeschwindigkeiten von 80 Stundenkilometern gestatteten die kleinen Kugeltanks erstaunliche Reichweiten.
    Das Signal erreichte ihn aus knapp sechs Kilometer Entfernung. Im Schatten der Kraterwand war er so gut wie blind und ganz auf die fahlen Lichtkegel seiner Bordscheinwerfer angewiesen. Wie im Versuch, ihn abzuhängen, jagten sie ihm voraus. Einzig die Radarsysteme des Hoppers bewahrten ihn vor Kollisionen mit Felsvorsprüngen und Überhängen. In beträchtlicher Entfernung fügte sich die hell beschienene Tiefebene ans scharf konturierte Schwarz des Bergschattens, hoch oben tupfte blendendes Sonnenlicht den Kraterkamm. Der Schienenstrang des Lunar Express hatte sich längst zwischen Felskämmen hindurch ins benachbarte Tal geschwungen, zu jener

Weitere Kostenlose Bücher