Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
sanft ansteigenden Ebene, die geradewegs zum Höhenrücken des Peary führte, wohin das Paket längst aus eigener Kraft hätte unterwegs sein sollen, doch sein Signal rief Hanna in die entgegengesetzte Richtung, tiefer in den Kraterkessel hinein.
    Er drosselte den Gegenschub. Der Grasshopper verlor an Höhe, seine Lichtfinger ertasteten furchigen Fels. Ringsum türmten sich kantige Brocken, gespenstische Hinweise darauf, dass hier vor nicht langer Zeit eine Lawine zu Tale gedonnert, nein, in völliger Lautlosigkeit niedergegangen war, dann wurde das Gelände flacher, und der Peilsender ließ ihn wissen, er habe sein Ziel erreicht. Wenige Meter noch.
    Hanna aktivierte die Bremsdüsen und hielt in den Lichtkegeln Ausschau nach einem Landeplatz. Offenbar hatte er den Fuß der Kraterwand noch nicht erreicht. Nach wie vor war der Untergrund zu abschüssig und zerklüftet, um den Grasshopper sicher aufsetzen zu können. Als er endlich ein halbwegs ebenes Plateau gefunden hatte, sah er sich gezwungen, anderthalb Kilometer rutschend und springend zurückzulegen, in ständiger Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren und sich an den messerscharfen Felsbrocken ringsum den Anzug aufzuschneiden. Verloren irrlichterte der Schein seiner Helmleuchte über Ansammlungen farblosen Schutts. Mehrmals geriet er ins Straucheln. Puderiger, ultrafeiner Mondstaub stieg auf, statisch aufgeladenes Zeug, das hartnäckig an seinen Beinen haftete. Kiesel sprangen vor ihm davon, auf unheimliche Weise belebt, dann brach das Gelände einfach weg, und das Licht verlor sich in konturloser Schwärze. Er blieb stehen, schaltete die Helmbeleuchtung aus, hielt seine Augen weit geöffnet und wartete.
    Der Eindruck war überwältigend.
    Das milliardenfache Funkeln der Milchstraße über ihm. Keinerlei Verschmutzung durch künstliches Licht. Nur der ferne Grasshopper mit seiner Positionsleuchte in seinem Rücken, ein Pünktchen. Hanna war so allein auf dem Mond, wie man nur allein sein konnte. Nichts, was er je erlebt hatte, kam dieser Erfahrung gleich, sodass er vorübergehend seinen Auftrag vergaß. Was immer den Menschen vom Erfahrbaren trennte, verschwamm und löste sich auf. Er wurde körperlos, eins mit der nichtdualen Welt. Alles war Hanna, alles ruhte in ihm, und er war in allem. Er erinnerte sich eines Sadhus, eines Mönchs, der ihm vor Jahren erklärt hatte, er könne nach Belieben den Indischen Ozean mit einem einzigen Schluck austrinken, eine Äußerung kryptischen Charakters, wie Hanna damals gefunden hatte, und nun stand er hier – stand er überhaupt noch? – und sog das Universum in sich auf.
    Er wartete.
    Nach einer Weile erwies sich, worauf er gehofft hatte, dass nämlich die Dunkelheit weniger undurchdringlich war als befürchtet. Photonen waren darin unterwegs, abgestrahlt vom erleuchteten gegenüberliegenden Kraterwall, dessen Saum ein Stück über die Ebene lugte. Wie auf einem Foto im Entwicklerbad konturierte sich sein Umfeld, mehr ahn- als sichtbar, doch es reichte, um den vermeintlichen Abhang zu seinen Füßen als Trichter zu entlarven, der sich mit wenigen Schritten umrunden ließ. Er schaltete das Licht wieder ein. Die Verzauberung endete. Ernüchtert trabte er los und hielt die Anzeige seines Computerdisplays im Auge, so konzentriert, dass er das Objekt erst sah, als er so gut wie hineingelaufen war.
    Ein Gestänge, wuchtig und ausgreifend!
    Hanna taumelte, ließ Werkzeugkasten und Messgerät fallen. Was war das? Die Peilung lag mindestens 300 Meter daneben! Das Ding hätte ihm fast sein Visier zerschmettert. Fluchend begann er es zu umrunden. Wenig später wusste er, dass den Peilsender keine Schuld traf. Der Schrotthaufen war nicht von Interesse. Ein vierfüßiges, mit ausgebrannten Tanks bestücktes Gestell, das auf der Seite lag, teilweise verschüttet. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, den Behälter zum Pol zu bringen, den die Organisation als Paket bezeichnete und der das Signal aussandte.
    Doch das Paket war nicht hier.
    Es musste noch weiter unten liegen.
    Als er es schließlich fand, verkeilt zwischen Felsbrocken, bot es einen jämmerlichen Anblick. Teile der Seitenverkleidung hatten sich geöffnet, Beine und Düsen an Auslegern sprossen aus dem Inneren hervor, teils verbogen, teils abgebrochen. Treibstofftanks hingen wie fette Insekteneier am Unterbauch. Offenbar hatte das Paket wie vorgesehen begonnen, sein Innenleben zu entfalten, um den Weg zum Bestimmungsort anzutreten, als etwas Unvorhergesehenes geschehen

Weitere Kostenlose Bücher