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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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kein Interesse daran, dass der Große Vorsitzende ihm die Möbel zurechtrückte.«
    Jericho musste grinsen.
    »Ich würde lieber weitergehen.«
    »Alles klar, Owen. Lassen wir die Vergangenheit ruhen.«
    Während der nächsten Minuten kommentierte Yoyo die Umgebung ohne Doppeldeutigkeiten. Nach zweimaligem Abbiegen fanden sie sich in einem lebhaften Gässchen voller Cafés, Galerien, Ateliers und pittoresker Läden wieder, die Kunstgewerbe verkauften. Jericho war oft hier. Er liebte das Viertel mit seinen Holzbänken und Palmen und den hübsch renovierten Shikumen-Häusern, deren Fenster Blumenkästen zierten.
    »Die Taikang Lu Art Street war bis vor zwanzig Jahren ein Geheimtipp in der Kunstszene«, erklärte Yoyo. »1998 wurde eine ehemalige Fabrik für Süßigkeiten zur International Artists Factory ausgebaut. Werbeagenturen und Designer zogen ein, bekannte Künstler eröffneten ihre Ateliers, darunter renommierte Vertreter wie Huang Yongzheng, Er Dongqiang und Chen Yifei. Dennoch stand das Viertel lange Zeit im Schatten der Moganshan Lu nördlich des Suszhou Kanals, wo sich etablierte Kunst, Underground und Avantgarde zusammengefunden hatten und den Shanghaier Markt beherrschten. Erst 2015, mit dem Bau der Taikang Art Foundation, änderten sich die Einflussverhältnisse. Es ist der Komplex dort vorne. Im Volksmund nennt man ihn ›Die Qualle‹.«
    Yoyo wies auf eine gewaltige Glaskuppel, die trotz ihrer Größe erstaunlich luftig und filigran wirkte. Das Gebäude war den Prinzipien der Bionik unterworfen und orientierte sich am Körperbau großer Medusen.
    »Was war dort vorher?«, fragte Jericho.
    »Ursprünglich stieß die Taikang Lu Art Street auf einen wirklich schönen Fisch- und Amphibienmarkt.«
    »Und wo ist der hin?«
    »Der Fischmarkt wurde abgerissen. Die Partei hat einen großen Radiergummi, mit dem sie Geschichte rückstandlos entfernen kann. Jetzt befindet sich dort die Taikang Art Foundation.«
    »Kann man die Ateliers besichtigen?«
    »Die Ateliers kann man besichtigen. Haben Sie Lust?«
    Yoyo ging ihm voraus. Die Taikang Lu Art Street füllte sich allmählich mit Touristen. Es wurde eng, doch Yoyo erschien kompakt und echt, als sie sich durch die Menschen schlängelte. Genau genommen, dachte Jericho, sogar um einiges echter als die anderen.
    Er stutzte.
    Hatten ihm seine Augen einen Streich gespielt? Er konzentrierte sich ganz auf Yoyo. Eine Gruppe Japaner näherte sich, Schulter an Schulter, auf Kollisionskurs, blind für entgegenkommende Menschen. Ihm war aufgefallen, dass der Computer Yoyo ausweichen ließ, wann immer sich eine Gelegenheit bot, doch die Gruppe verstopfte die Straße zu beiden Seiten. Ihr blieb nur, zurückzuweichen oder sich hindurchzuquetschen. Japaner wie Chinesen fanden nichts dabei, sich den Weg frei zu rempeln, also schätzte Jericho, dass die leibhaftige Yoyo von ihren Ellbogen Gebrauch gemacht hätte. Doch Avatare hatten keine Ellbogen. Zumindest keine, die sich in den Rippen anderer bemerkbar machten.
    Gespannt sah er zu, wie sie weiterging. Im nächsten Moment hatte sie die Gruppe passiert, ohne dass der Eindruck entstanden war, jemand wäre durch sie hindurchmarschiert. Vielmehr schien sich einer der Japaner für die Dauer eines Augenblicks in Luft aufgelöst zu haben, um sie passieren zu lassen.
    Irritiert nahm Jericho die Brille ab.
    Nichts hatte sich verändert, sah man davon ab, dass Yoyo verschwunden war. Er setzte sie wieder auf, kämpfte sich durch die Gruppe hindurch und sah Yoyo ein Stück weiter auf der Straße stehen. Sie schaute zu ihm herüber und winkte.
    »Wo bleiben Sie denn? Kommen Sie!«
    Jericho lief ein paar Schritte. Yoyo wartete, bis er auf ihrer Höhe war, und setzte sich wieder in Bewegung. Unglaublich! Wie funktionierte die Nummer? Er würde es kaum verstehen ohne Erklärung, also konzentrierte er sich darauf, das Programm in die Enge zu treiben. Rein faktisch hatten die Programmierer gute Arbeit geleistet. Die Führung war korrekt recherchiert und anschaulich aufgebaut. Bis jetzt hatte alles gestimmt, was Yoyo ihm erzählt hatte.
    »Yoyo –«, begann er.
    »Ja?« Ihr Blick signalisierte freundliches Interesse.
    »Wie lange haben Sie den Job schon?«
    »Diese Route ist ganz neu«, antwortete sie ausweichend.
    »Also noch nicht lange?«
    »Nein.«
    »Und was machen Sie heute Abend?«
    Sie blieb stehen und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln.
    »Ist das ein Angebot?«
    »Ich würde Sie gerne zum Essen einladen.«
    »Tut mir leid, wenn ich

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