Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
einer Weltgesellschaft waren, die sich in Vernetzte und Nichtvernetzte aufspaltete, und in Quyu war niemand vernetzt, selbst wenn er ein Handy oder einen Computer besaß. Vernetzt zu sein hieß, das globale Hochgeschwindigkeitsspiel mitzuspielen und keine Sekunde in seiner Aufmerksamkeit nachzulassen. Es hieß, relevante von irrelevanter Information zu separieren und dadurch Vorteile zu erringen, die man einbüßte, sobald man vom Netz abgeschnitten war. Es erforderte, in jeder Sekunde besser, schneller, preiswerter, innovativer und flexibler zu sein als die Konkurrenz, im Bedarfsfall seinen Wohnort zu wechseln oder seinen Job.
    Es hieß, zum Spiel zugelassen zu werden.
    Die Zukunft, hatte Gates gesagt, wird die Zukunft der Vernetzten sein. Nichtvernetzte Gesellschaften hatten demzufolge keine Zukunft. Individuen, die nicht vernetzt waren, glichen Spinnen, die keine Fäden produzierten. Nichts blieb für sie hängen. Sie mussten verhungern.
    Offiziell war in Quyu noch niemand verhungert. Auch wenn Chinas Machthaber am blinden Fleck litten, sobald es um Slums oder Slum-ähnliche Viertel ging, ließen sie den Hungertod auf Shanghais Straßen nicht so einfach zu. Weniger aus Menschenliebe, sondern weil es sich im Weltfinanzzentrum Shanghai schlicht verbat. Andererseits hatten offizielle Stellungnahmen zum Thema Quyu nicht den geringsten Wert. Was sollte es Offizielles zu berichten geben aus einem Stadtteil, dessen Demografie im Dunkel lag, der als unregierbar und unkontrollierbar galt und sich auf undurchschaubare Weise selbst verwaltete, auf dessen Gebiet sich die Polizei kaum blicken ließ, während sie seine Ränder regelrecht befestigt hatte? Man wusste, es gab eine Infrastruktur, es gab Behausungen, einige menschenwürdig, andere kaum mehr als triefende Löcher. Trinkwasser war knapp, der Strom fiel regelmäßig aus, durchweg mangelte es an sanitären Einrichtungen. Es gab Ärzte und Ambulanzen in Quyu, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten, Imbissstuben, Teestuben, Kneipen, Kinos und Kioske und Straßenmärkte, wie sie aus dem regulären Shanghai fast zur Gänze verschwunden waren. Wie genau das Leben in Quyu verlief, wusste man hingegen nicht. In Quyu begangene Verbrechen wurden kaum verfolgt, auch dies Ausdruck der stillschweigenden Übereinkunft, das Viertel sich selbst zu überlassen und es von der Dynamik der Fortschrittsgesellschaft abzukoppeln. Weder förderte man die Bewohner noch zog man sie zur Rechenschaft, sofern sie sich nicht außerhalb ihres angestammten Lebensraumes vergingen. Wo es keine Zukunft gab, existierte ebenso wenig eine Vergangenheit, zumindest keine, derer man sich rühmen oder auf die man gründen konnte. Als nicht Vernetzter lebte man außerhalb der Zeit, in den dunklen Regionen eines Universums, dessen leuchtende Zentren durch mehrstöckige Autobahnen und Skytrains untereinander verbunden waren. Zwar führten die kürzesten Wege vom Zentrum Shanghais zu den luxuriösen Trabantenstädten durch Viertel wie Quyu, nur dass man die vergessene Welt dafür nicht durchqueren und zur Kenntnis nehmen musste. Man überquerte sie, so wie man einen Sumpf überquerte.
    Eine Zeit lang hatte Shanghais Bezirksverwaltung bei der Pekinger Führung die Frage aufgeworfen, ob von Quyu ein Aufstand ausgehen könne. Niemand bezweifelte, dass dort Terroristen und Verbrecher Unterschlupf fanden. Allerdings stand der Forderung, das Gebiet strenger staatlicher Kontrolle zu unterwerfen, die Skepsis gegenüber, ob sich eine Flickengesellschaft aus ehemaligen Bauern, Fließbandarbeiterinnen, Dienstboten und Bauarbeitern je zu so etwas wie einer Proletarierrevolte zusammenfinden würde. Terror im großen Stil war eher im bürgerlichen Lager zu erwarten, wo man Zugriff auf Datenautobahnen und Hightech jeder Art hatte. Konventionelle Verbrecher hingegen würden sich in Quyu umso wohler fühlen, je weniger Gefahr ihnen dort drohte. Wann hatte sich die Mafia schon zum Klassenkampf aufgerafft? Am Ende setzte sich die Einsicht durch, dass jeder Verbrecher in Quyu einer weniger außerhalb Xaxus war, was eine klare Empfehlung Pekings zur Folge hatte:
    Vergesst Quyu.
    Die Welt, in die Yoyo eingetaucht war, gehörte damit zu den neuen weißen Flecken auf der Landkarte der Verstädterung. Jericho fragte sich, ob je einer in Quyu auf den Gedanken gekommen war, dass es auch eine Form der Diskriminierung war, nicht überwacht zu werden.
    Wohl kaum.
    Den Abend hatte er damit verbracht, im Netz nach Texten zu suchen, die Yoyo

Weitere Kostenlose Bücher