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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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seit ihrem Verschwinden verfasst haben mochte. Dabei bediente er sich der gleichen Technologie wie Diamond Shield auf seiner fiebrigen Suche nach Dissidenten oder amerikanische Geheimdienste im Hamsterrad des Antiterrorkampfes, und wie er sie selbst gegen Ma Liping eingesetzt hatte. Tipprhythmen auf Computertastaturen nahmen es an Einzigartigkeit durchaus mit Fingerabdrücken auf. Ein Verdächtiger ließ sich im selben Moment identifizieren, da er zu schreiben begann und seinen Text einem Browser anvertraute. Noch interessanter waren die Fortschritte in der Social Network Analysis: Wortschatz, favorisierte Metaphern, alles hinterließ grammatische und semantische Spuren. Wenige Hundert Worte reichten dem Computer, um mit fast einhundertprozentiger Sicherheit auf den Verfasser zu schließen. Vor allem aber: Das System fügte nicht blind Worte zusammen, es erkannte Sinnzusammenhänge. In gewisser Weise verstand es damit, was der Verfasser zum Ausdruck bringen wollte. Es entwickelte eine unbewusste Intelligenz und die Fähigkeit, ganze Netzwerke aufzuspüren, weltumspannende Strukturen des Terrors und des organisierten Verbrechens, in denen Neonazis, Bombenleger, Rassisten und Hooligans, die Tausende Kilometer voneinander entfernt lebten und sich im wahren Leben gegenseitig die Knochen gebrochen hätten, in virtueller Eintracht zusammenfanden.
    Was half, Anschläge zu verhindern, Pädophilen auf die Spur zu kommen und Wirtschaftsspionage aufzudecken, hatte sich für Dissidenten und Menschenrechtler indes zum Albtraum entwickelt. Es verwunderte kaum, dass gerade repressive Systeme ein ausgeprägtes Interesse an den Methoden der Social Network Analysis entwickelten. Dennoch war es Yoyo gelungen, die Analyseprogramme der Staatssicherheit auszutricksen, bis sie vor wenigen Tagen aufgeflogen und identifiziert worden war. Falls es sich so verhielt. Wenigstens musste Yoyo es angenommen haben, was ihre heillose Flucht erklärte.
    Unverständlich blieb, wie sie es hatte merken können.
    Jericho gähnte.
    Er war hundemüde. Die ganze Nacht über hatte er den Computer nach Spuren und Indizien suchen lassen. Ihm war klar, dass Yoyo sich so schnell nicht würde finden lassen. Jahrelang hatte sich die Internetpolizei an ihr die Zähne ausgebissen. Vermutlich konnte sie die Algorithmen der Analyseprogramme rauf und runter singen, bei Tu Technologies saß sie zudem im Jadetempel der Erkenntnis. Einigermaßen ratlos fragte er sich, wie er etwas schaffen sollte, das bis vor Kurzem nicht einmal dem Staat gelungen war, doch er hatte einen unschätzbaren Vorteil auf seiner Seite.
    Er wusste um Yoyos Identität als Wächter.
    Während der Computer ihren virtuellen Schatten jagte, hatte Jericho die restlichen Kisten ausgepackt und das Loft in etwas verwandelt, das einer Wohnung recht nahekam. Als schließlich die Möbel standen, die Bilder an den Wänden hingen und seine Kleider im Schrank, als alles eingeräumt und an seinem Platz war und die Trois Gymnopédies von Erik Satie leise durch Raum und Zeit perlten, fühlte er sich erstmals seit Tagen wieder beglückt und frei von den Bildern aus Shenzhen, und auch an Yoyo hatte er vorübergehend jedes Interesse verloren.
     
    Owen Jericho, eingewoben in Musik und Selbstzufriedenheit.
    »Übereinstimmung«, meldet der Computer.
    Störend.
    So störend, dass er spontan beschließt, das Verbindlichkeitslevel des Programms um 30 Prozent heraufzusetzen. Wenigstens klingt der Computer nun so, dass man bereit wäre, ihm einen Kaffee oder ein Glas Wein anzubieten.
    »Es gibt da einen Eintrag in einem Blog, der auf Yoyo schließen lässt«, sagt die warme, weibliche Stimme, beinahe ein Mensch. »Sie hat einen kurzen Text auf Brilliant Shit veröffentlicht, einem Forum für Mando-Prog. Soll ich ihn vorlesen?«
    »Bist du überzeugt, dass es Yoyo ist?«
    »Fast überzeugt. Sie versteht sich zu tarnen. Ich schätze, Yoyo arbeitet mit Verzerrern. Was meinst du?«
    Ohne Verbindlichkeitsregelung klänge dieselbe Aussage so:
    »Übereinstimmung 84,7 Prozent. Wahrscheinlichkeit Verzerrereinsatz 90,2 Prozent.«
    »Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, dass sie mit Verzerrern arbeitet«, bestätigt Jericho.
    Verzerrer sind Programme, die den persönlichen Stil des Verfassers nachträglich verändern. Sie erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Manche transkribieren Texte in die Stilistik großer Schriftsteller und Lyriker, sodass, was man in aller Unbekümmertheit absondert, den Empfänger in der Ausdrucksweise

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