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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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strapazieren.«
    »Warum?«
    »Erklär ich dir später.«
    »Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann.«
    »Ja oder Nein?«
    »Unfassbar!«, schnappte Tu. »Wie redest du überhaupt mit einem Chinesen? Wir kennen kein Ja oder Nein. Chinesen hassen Verbindlichkeit, das solltest du mittlerweile begriffen haben, Langnase.«
    »Ich weiß. Ihr bevorzugt ein definitives Vielleicht.«
    Tu versuchte, entrüstet auszusehen. Dann grinste er und schüttelte den Kopf. »Ich muss verrückt sein. Aber gut. Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Bin wirklich neugierig, was dich an diesem Flugkünstler so sehr interessiert.«
     
    Während der wenigen Minuten, die das Gespräch gedauert hatte, war der Verkehr in der nahe gelegenen Yan'an Donglu dramatisch angeschwollen. Auch die parallel verlaufende Huaihai Donglu litt an koronarer Verstopfung. Zweimal täglich ereilte das Innenstadtgebiet zwischen Huangpu und Luwan der Infarkt. Illusorisch, den eigenen Wagen zu nehmen, doch als Jericho zum COD-Point zurückkehrte, musste er mit ansehen, wie jemand das letzte freie Fahrzeug auslöste. Das war das Problem mit den CODs. Einerseits gab es zu wenige, andererseits war jedes, das nicht auf einer Hochgeschwindigkeitstrasse unterwegs war, ein Auto zu viel auf Shanghais Straßen.
    Jerichos Laune sank auf den Nullpunkt. Als er noch in Pudong gewohnt hatte, war es einfacher gewesen, Tu zu besuchen. Er ging bis zur Huangpi Nanlu Metro-Station und stieg in den hell erleuchteten Untergrund hinab, wo sich Hunderte Menschen von stoisch dreinblickenden Drückern in die überfüllte Linie 1 quetschen ließen. Kaum dass die Waggontüren zuglitten, bereute er es bitter, die anderthalb Kilometer zum Flussufer nicht zu Fuß zurückgelegt und eine Fähre genommen zu haben. Offenbar musste er noch Verschiedenes lernen, was sein neues Viertel betraf. Nie zuvor hatte er so zentral gewohnt. Überhaupt konnte er sich nicht erinnern, je um diese Zeit eine U-Bahn bestiegen zu haben. Noch weniger konnte er sich vorstellen, es jemals wieder zu tun.
    Der Zug beschleunigte, ohne dass einer der Fahrgäste schwankte. Fast alle Männer um ihn herum hielten beide Arme in die Höhe gereckt, sodass man ihre Hände sehen konnte. Die Sitte verdankte sich der Angst, sexueller Übergriffe bezichtigt zu werden. Wo zwölf Menschen auf einem Quadratmeter zusammenstanden, war es unmöglich zu sagen, wem man den Griff in den Schritt verdankte. Vergewaltigungen in vollbesetzten Zügen gehörten zur Tagesordnung, meist hatte das Opfer nicht mal die Chance, sich umzudrehen. Nachdem zunehmend Männer belästigt wurden, folgten neuerdings auch Frauen der Sitte des Händehebens. Eine Fahrt mit der Metro war stummes Leiden, und am schlimmsten litten die Kinder in der Melange aus Textilmuff, Schweiß und Genitalgeruch, die ihre Köpfe umwehte.
    Jericho war unmittelbar hinter den Türen eingeklemmt worden. Folgerichtig beförderte ihn der Druck der Masse beim nächsten Halt als Ersten auf den Bahnsteig. Kurz zog er in Erwägung, bis zur Haltestelle Houchezhan weiterzufahren, wo die Magnetschwebebahn Maglev verkehrte. Sie verband den küstennahen Pudong Airport mit der Stadt Suzhou im Westen, führte unmittelbar am World Financial Center vorbei und bot erquicklichen Luxus zu exorbitanten Beförderungsgeldern, weswegen sie meist halb leer dahinraste. Binnen einer Minute wäre er am Ziel, nur dass die Fahrt bis zur Maglev-Station ebenso lange dauern würde, als wenn er mit der Metro weiter nach Pudong führe. Nichts wäre gewonnen. Im gleichen Moment schob ihn der Menschenbrei aufs Laufband zur Linie 2, und er fügte sich, getröstet von der Gewissheit, dass der Typ, der ihm das COD vor der Nase weggeschnappt hatte, bis jetzt keine hundert Meter weit gekommen sein durfte.
    Als er in Pudong aus dem klimatisierten Untergrund kroch, fühlte er sich von einem heißen Lappen erschlagen. Die Sonne hing als unfreundlicher Fleck inmitten schlieriger Hochbewölkung. Langsam zog es sich zu. Sein Blick wanderte zum World Financial Center, das seitlich versetzt hinter dem Jin Mao Tower aufragte. Dort oben war Grand Cherokee Wang entlangbalanciert? Unvorstellbar! Entweder er war verrückt geworden, oder die Umstände hatten ihm keine Wahl gelassen. Er loggte sich ins Internet ein und lud das Amateurvideo auf sein Handy. Die Aufnahme war verwackelt, aber scharf und stark herangezoomt. Sie zeigte eine winzige Gestalt auf dem Gleis.
    »Diane«, sagte er.
    »Hallo, Owen. Was kann ich für dich

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