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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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gekommen war, besaß keine Ähnlichkeit mehr mit dem, den ich in London kennengelernt hatte.«
    »Du warst in London?«
    »Wird das ein Interview?« Joanna zog die Augenbrauen hoch. »Dann hätte ich es später gern zur Autorisierung vorgelegt.«
    »Nein, es interessiert mich wirklich. Ich meine, wir kennen uns noch nicht so lange, oder? Tian und du, ihr seid gerade mal – wie viele Jahre zusammen?«
    »Vier.«
    »Eben, wir hatten nie viel Gelegenheit, miteinander zu reden.«
    »So von Frau zu Frau, meinst du?«
    »Nein, Quatsch, ich meine, Tian kenne ich ewig, mein ganzes Leben lang, aber von dir –«
    »Von mir weißt du nichts.« Joanna verzog spöttisch die Mundwinkel. »Und jetzt machst du dir Sorgen um den guten Tian, weil du dir nicht vorstellen kannst, was eine schöne und verhätschelte Frau von einem kahlköpfigen, schlampigen, übergewichtigen alten Sack will, der zwar Geld wie Heu hat, aber seine Brillenbügel klebt und den Hosenboden in den Kniekehlen trägt.«
    »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Yoyo zornig.
    »Aber gedacht. Und Owen hat es auch gedacht. Gut, ich erzähle dir die Geschichte. Sie ist ein Lehrstück über die Ökonomie der Liebe. Sie beginnt in London, wohin ich 2017 zog, um englische Literatur, abendländische Kunst und Malerei zu studieren. Etwas, wozu man entweder verrückt, Idealist oder von Haus aus reich sein muss. Mein Vater war Pan Zemin –«
    »Der Umweltminister?«
    »Vizeumweltminister.«
    »Hey!«, rief Yoyo. »Wir haben deinen Vater immer bewundert!«
    »Das würde ihn freuen.«
    »Er hat eine Menge Probleme offen angesprochen.« Wärmende Begeisterung flutete Yoyo. »Verdammt mutig. Und sein Betreiben, mehr Geld in die Solarforschung zu stecken, um die Energieausbeute zu steigern –«
    »Ja, in sehr hohem Maße der Allgemeinheit zuträglich«, erwiderte Joanna trocken. »Es hat sich auch gar nicht störend ausgewirkt, dass eines der Unternehmen, die den Durchbruch erzielten, ihm gehörte. Ich sagte ja, verrückt, idealistisch oder von Haus aus reich. In London war die chinesische Gemeinschaft zu der Zeit längst aus der Gerrard Street herausgewachsen. Es gab eine Menge guter Clubs in Soho, die von Chinesen und Europäern besucht wurden. In einem davon lernte ich Owen kennen. Das war 2019, und er gefiel mir. Oh, er gefiel mir sogar sehr!«
    »Ja, er sieht gut aus.«
    »Sagen wir, leidlich. Das Großartige an ihm war weniger sein Aussehen, als dass er keine Angst vor mir hatte. Entsetzlich, alle hatten immer gleich Angst vor mir, dabei mag ich Verlierer – zum Frühstück.« Sie lächelte maliziös und quirlte einen weiteren Pinsel durch Terpentin. »Aber Owen schien beschlossen zu haben, sich weder von meinem unbestreitbar blendenden Aussehen noch vom Umstand meiner finanziellen Unabhängigkeit beeindrucken zu lassen, und er schaffte es zwei Stunden lang, mir nicht unentwegt auf die Titten zu gucken. Das hatte was. Außerdem respektierte er meine Intelligenz, indem er mir widersprach. Er war Cyber-Cop bei New Scotland Yard, wo sie dich nicht gerade in Gold aufwiegen, aber Geld interessierte mich nicht. Owen hätte unter der London Bridge schlafen können, ich hätte mich dazugelegt.« Sie hielt inne. »Oder sagen wir, ich hätte sie gekauft und mich dazugelegt. Wir waren sehr verliebt.«
    »Wie konnte das kaputtgehen?«
    »Ja, wie?« Joanna kreierte ein wohlklingendes kleines Seufzen. »2020 erlitt mein Vater einen Gehirnschlag und war so rücksichtsvoll, nicht mehr aufzuwachen. Er hinterließ ein respektables Vermögen, eine in Duldsamkeit erprobte Ehefrau, die sein Ableben ebenso widerspruchslos ertrug, wie sie ihn ertragen hatte, außerdem drei Kinder, deren ältestes ich bin. Mama war einsam, und ich dachte, mit dem Anteil, der mir so unverhofft zugeflossen war, musst du in London nicht weiter die Hörsäle verstopfen. Also beschloss ich zurückzukehren. Ich fragte Owen, was er davon hielte, wenn wir nach Shanghai zögen, und er sagte, ohne lange nachzudenken, klar, ziehen wir nach Shanghai. – Und weißt du, das war komisch.«
    »Wieso? Das war doch genau, was du wolltest.«
    »Schon, aber er hatte nicht den geringsten Einwand. Immerhin waren wir gerade mal ein halbes Jahr zusammen. Aber gut, das ist halt die Crux. Tun Männer, was du ihnen sagst, machen sie sich verdächtig, opponieren sie, machen sie sich lächerlich. Ich dachte, es ist, weil er mich so sehr liebt, was ja an sich gut war, denn solange er mich liebte, würde er immer nur sich betrügen und

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