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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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doppelten Boden gearbeitet hast. Du glaubst an ein Leben nach dem Tode, in dem Anwälte Schließfächer öffnen, um den Inhalt der Presse zu überantworten, autorisiert durch dein gewaltsames Hinscheiden.«
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    Vogelaar hob den Kopf. Einer der Leute vom Lounge-Personal. Aufgeschreckte Miene, die Nuance der Missbilligung: In einer Bank schrie man nicht. Allenfalls machte man sich Gedanken um einen würdigen Suizid. Vogelaar schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich – habe nur gerade eine schlimme Nachricht erhalten.«
    »Wenn wir etwas für Sie tun können –«
    »Es ist privater Natur.«
    Erleichterung ließ den Mann lächeln. Es ging nicht um Geld. Jemand war gestorben, verunfallt.
    »Wie gesagt, wenn –«
    »Danke.«
    Der Mitarbeiter entfernte sich. Vogelaar sah ihm nach, erhob sich und verließ eilig die Lounge.
    »Sprich weiter«, sagte er ins Handy.
    »Dein Konzept der Absicherung fußt auf der Überlegung, dass, wer dir Böses will, unmittelbar dich bedrohen wird«, fuhr Xin fort. »Sodass du sagen kannst: Finger weg. Falls ich morgen nicht da und dort zum Tee erscheine, im Vollbesitz meiner Extremitäten, geht irgendwo eine Bombe hoch. Die Strategie eines Einzelgängers, der du die meiste Zeit deines Lebens warst. – Doch du bist kein Einzelgänger mehr. Vielleicht hättest du umdenken sollen.«
    »Habe ich.«
    »Hast du nicht. Der Zünder der Bombe ist unverändert an dein persönliches Wohlergehen gekoppelt.«
    »An meines und an das meiner Frau.«
    »Nicht ganz. Du hast deine Einstellung geändert, nicht aber die Vorgehensweise. Früher hättest du gesagt: Kenny, pack dich zurück ins Flugzeug, du bist machtlos, oder bring mich meinetwegen um und sieh, was passiert. Heute lautet der Text: Lass Nyela in Ruhe, oder ich schicke dich in die Hölle.«
    »Worauf du dich verlassen kannst!«
    »Du könntest also immer noch alles auffliegen lassen.« Xin machte eine Pause. »Aber was täten wir dann mit deiner armen, unschuldigen Frau? Oder anders gefragt: Wie lange täten wir es mit ihr?«
    Vogelaar hatte das Forum durchquert und trat hinaus auf die überfüllte Friedrichstraße.
    »Es reicht, Kenny. Ich hab dich verstanden.«
    »Wirklich? Als Vogelaar nur Vogelaar liebte, hatten es Leute wie ich schwer. Damals hättest du gesagt: Bring die Frau ruhig um, quäl sie zu Tode, wirst schon sehen, was du davon hast. Wir hätten gepokert, und am Ende hättest du gewonnen.«
    »Ich warne dich. Falls du Nyela auch nur ein Haar krümmen solltest –«
    »Würdest du für sie sterben?«
    »Sag endlich, was du willst.«
    »Ich will eine Antwort.«
    Vogelaars Geist erhob sich zum Panoramaflug über die Schauplätze seines Lebens. Er erblickte ein Kerbtier, das zwickte, biss, stach, sich tot stellte oder blitzschnell in einer Ritze verschwand. Einen Laufautomaten, dessen Panzer seit einigen Jahren an Ausstößen von Empathie korrodierte. Dessen Instinkte von der Erkenntnis zersetzt wurden, dass es eine Sinnhaftigkeit des Weiterlebens gab und damit auch eine des Sterbens, damit andere leben konnten. Xin hatte recht. Sein Konzept war überholt. Das Kerbtier hatte es satt, alleine in Ritzen zu kriechen, doch gerade schien die Zukunft eine einzige Ritze zu sein.
    »Ja«, sagte er. »Ich würde für Nyela sterben.«
    »Wozu?«
    »Um sie zu retten.«
    »Nein, Jan. Du würdest sterben, weil Altruismus die Königsdisziplin des Egoismus ist und du ein zutiefst egoistischer Mensch bist. Es gibt nichts Selbstgefälligeres als Märtyrertum, und Selbstgefälligkeit war immer schon dein größter Antrieb.«
    »Halt keine Volksreden, Kenny.«
    »Du solltest wissen, dass du mit deinem Tod niemanden rettest, wenn du jetzt falschspielst. Nyela bliebe zurück. Ihre Qualen würden endlos sein. Du hättest gar nichts erreicht.«
    »Ich hab's begriffen.«
    »Also was ist diesmal dein doppelter Boden?«
    »Ein Dossier.«
    »Das Zeug, mit dem Mayé uns erpressen wollte?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »Im Crystal Brain. In einem Gedächtniskristall.«
    »Wer weiß davon?«
    »Nur mein Anwalt und meine Frau.«
    »Nyela kennt den Inhalt dieses Dossiers?«
    »Ja.«
    »Und dein Anwalt?«
    »Keine Silbe. Er hat lediglich Anweisung, den Kristall im Falle meines gewaltsamen Todes zu entnehmen und den Inhalt in einen Verteiler zu speisen.«
    »Warum hast du ihn nicht über den Inhalt in Kenntnis gesetzt?«
    »Weil es ihn nichts angeht«, schnauzte Vogelaar mit wachsendem Zorn. »Das Dossier dient einzig dazu, Nelés und mein Leben zu

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