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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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bewegliche Teile auskamen und praktisch unzerstörbar waren. Gedächtniskristalle verfügten über Speicherkapazitäten von ein bis fünf Terabyte bei Ausleseraten von mehreren Gigabyte pro Sekunde. Die Zugriffszeit lag weit unterhalb einer Millisekunde. Gespeichert wurde per Laser, der elektronische Datenmuster im Kristall als Seiten ablegte. Eine einzige dieser eingelaserten Seiten bot Raum für Millionen von Bits, Tausende Seiten passten in einen einzigen Kristall. Vogelaars Dossier nahm lediglich einen winzigen Bruchteil davon in Anspruch.
    »Bitte entnehmen Sie Ihren Kristall.«
    Vogelaar betrachtete das winzige Gebilde und fühlte seinen Mut sinken. Plötzlich suchte ihn tiefe Verzweiflung heim. Er sank gegen die rückwärtige Wand, außerstande, den Würfel an sich zu nehmen.
    Wie hatte alles nur so entsetzlich schiefgehen können?
    Alles war umsonst gewesen.
    Nein, war es nicht. Noch gab es eine Chance.
    Er überlegte, inwieweit er Xin vertrauen konnte. Tatsächlich, so unglaublich es klang, konnte man dem Killer ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringen, jedenfalls innerhalb der von ihm geschaffenen Koordinaten aus Wahn und Selbstkontrolle. Vogelaar hegte keinen Zweifel daran, dass Xins manisches Verhältnis zu Zahlen und zur Symmetrie, seine ständige Suche nach Inseln der Ordnung, sein eigenartiger Verhaltenskodex letztlich dazu dienten, seinen Wahnsinn in Schach zu halten. Einen Wahnsinn, um den Xin sehr wohl wusste. Vordergründig erschien er eloquent, gesellig und gebildet. Doch Vogelaar ahnte, wie schwer es Xin fiel, eine ganz normale Unterhaltung zu führen, und wie sehr er es dennoch versuchte. Ein letzter Rest Menschlichkeit mochte in ihm überlebt haben, eine uneingestandene Sehnsucht, nicht der zu sein, der er war. Etwas, das ihn davon abhielt, jeden niederzuschießen, der ihm im Weg stand, die Welt in Brand zu setzen, der Blitz zu sein, in dem alles verging. Falls er Xin den Kristall übergab, würde er einen Vertrag mit ihm schließen müssen, über Nelés und sein Überleben, vielleicht sprang aber auch nur Nelés Leben heraus. So oder so war die Frage, ob er dem Killer wirklich alles aushändigte, dieses Dossier nämlich –
    Und die Kopie des Dossiers.
    »Bitte entnehmen Sie Ihren Kristall innerhalb der nächsten 60 Sekunden.«
    Mit einem Zucken der Schulterblätter stieß er sich von der Wand ab, nahm den Würfel zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt ihn gegen das Licht – winzige Frakturen wurden im Innern sichtbar, miniaturisierte Geschichte – und steckte ihn ein. So zügig, wie er gekommen war, verließ er den Keller, fuhr mit dem Lift nach oben, beschleunigte seinen Schritt, während er dem Parkplatz zustrebte, und startete den Nissan. Der Verkehr hatte sich wie durch ein Wunder entzerrt, sodass er noch vor Ablauf des vereinbarten Zeitraums vor dem Restaurant parkte. Diesmal gestattete er sich keinen Moment des Verweilens, stieg aus und trat mit erhobenen Händen, die Handflächen nach außen gekehrt, vor die Eingangstür. Durch die Scheibe sah er den glatzköpfigen Mann, eine Waffe mit Schalldämpfer in der Rechten. Langsam stieß er die Türe auf und schaute ins dämmrige Innere. Hinter der Bar lugten Letos Füße heraus.
    »Wo ist Nyela?«
    »Mit Kenny umgezogen«, sagte der Glatzkopf in vernuscheltem Irisch. Er machte eine Bewegung mit der Waffe zur Schwingtür. Vogelaar würdigte ihn keines Blickes, durchquerte den Gastraum und betrat die Küche. Der Killer folgte ihm.
    »Jan!«
    Nyela wollte zu ihm. Xin hielt sie an der Schulter zurück.
    »Lass sie los«, sagte Vogelaar.
    »Ihr könnt euch später begrüßen. Was ist passiert, Jan? Deine Küche sieht aus, als wären Elefanten hindurchgelaufen.«
    »Ich weiß.« Vogelaar betrachtete ausdruckslos das Chaos, das sein Kampf mit Jericho nach sich gezogen hatte. »Möchtest du aufräumen, Kenny? Sauber machen? Unter der Spüle findest du alles, was du brauchst, Glasreiniger, Chrompolitur – Ich weiß doch, dass du Unordnung nicht ertragen kannst.«
    »In meiner Welt. Das hier ist deine. Wo ist der Kristall?«
    Vogelaar griff in die Jackentasche und legte den Gedächtniskristall auf die verbliebene freie Fläche des Arbeitstischs. Xin nahm ihn mit spitzen Fingern und drehte ihn hin und her.
    »Und du bist sicher, dass es der Richtige ist?«
    »Todsicher.«
    »Ich möchte zu meinem Mann«, sagte Nyela leise, aber bestimmt. Ihre Augen wirkten verheult, doch sie schien in stabiler Verfassung zu sein.
    »Natürlich«, murmelte Xin.

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