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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Bibel, Koran und Thora kannten weder Evolution noch Kausalitätenfilz oder Schrödingers Katze, keine Unschärferelation und keine Standardabweichung, keine nichtlinearen Gleichungen und schwarzen Löcher, keine Multiversen, keinen extradimensionalen Raum und keine Umkehrung des Zeitpfeils. Sie waren kratzfeste Glaubensvehikel auf der Einbahnstraße der absoluten Wahrheit, maßlos im Anspruch, doch genügsam im Flächenverbrauch.
    Darüber hinaus barst der Planet vor Information.
    Alleine die Geschichtsschreibung: Abermillionen Versuche, sich höchst flüchtigen Zeitteilchen auf die Spur zu heften, deren Impuls und Position kaum bestimmbar waren, ob sie nun die Haarfarbe Karls des Großen betrafen oder die Frage, ob er jemals gelebt hatte. Alleine die Spielarten der Physik, der Philosophie und der Prognostik. Alleine sämtliche bis dato verfassten Artikel, Essays, Novellen, Romane, Gedichte und Songtexte, alleine die Lyrik Bob Dylans samt aller dazu erschienenen Elaborate! Alleine das Gebrauchsanleitungsaufkommen für den Zusammenbau rostfreier Kugelgrills, die meteorologischen Daten seit Anbeginn der Wetteraufzeichnungen, die gesammelten Reden des Dalai Lama, die Gesamtheit aller chinesischen Speisekarten zwischen Kap Hoorn und Bosporus, die der Kapitalmehrung gewidmeten Sprechblasen Dagobert Ducks und solche des Zorns und der Verzweiflung aus dem Schnabel seines glücklosen Neffen, das Weltvorhandensein aller Beipackzettel für Hämorridencremes und Antidepressiva –
    Definitiv gab es ein Platzproblem.
    Definitiv verhieß das Buch nicht die Lösung.
    Doch auch CD-ROMs, DVDs und Festplatten waren an Kapazitätsgrenzen gestoßen, die dem exponentiellen Informationszuwachs nicht standhielten. Ihnen drohte das digitale Vergessen. Ausgehend von der Haltbarkeit gemeißelten Steins konnte sich die Christenheit durchaus der Hoffnung erfreuen, dass die Zehn Gebote noch irgendwo existierten. Bücher hielten immerhin 200 Jahre, sofern nicht mit eisenfreier Tinte auf säurefreies Papier gedruckt, was ihre Lebenserwartung verdreifachte. Zelluloidfilme brachten es auf geschätzte 400 Jahre, CDs und DVDs möglicherweise auf 100 Jahre, Disketten auf 10 Jahre Lebensdauer. Damit war die gute alte Disk dem USB-Stick theoretisch überlegen, der schon nach drei Jahren Symptome von Vergesslichkeit zeigte, nur dass es keine Diskettenlaufwerke mehr gab. Einem dauerhaft nutzbaren, platzsparenden Weltgedächtnis standen somit drei Gegner im Wege: zu geringe Speicherkapazität, zu schneller Verfall, zu schnell wechselnde Hardware.
    Die Holografie hatte alle Probleme auf einen Schlag gelöst.
    Über acht Stockwerke verteilten sich nun Kristallbanken und Laserpulte, luden geräumige Lounges ein zu Ausflügen in die Geschichte, ein Eldorado für jeden Außerirdischen, der eines fernen Tages nach Beiseiteräumen wuchernder Vegetation auf menschliche Artefakte stoßen würde. Vogelaar indes, blind für die glitzernde Pracht, steuerte einen der Fahrstühle an und ließ sich ins zweite Kellergeschoss fahren, wo man gegen Gebühr Speicherplatz zur Aufbewahrung privater Daten anmieten konnte. Er autorisierte sich – Augenscan, Handabdruck, das Übliche – und wurde in ein diffus beleuchtetes Atrium vorgelassen.
    »Nummer 17-44-27-15«, sagte er.
    Das System fragte ihn, ob er einen Laserplatz wünsche. Vogelaar verneinte und gab an, seine Daten gleich mitnehmen zu wollen.
    »Gang 17, Abschnitt B-2«, sagte das System. »Kennen Sie sich aus, oder wünschen Sie eine Wegbeschreibung?«
    »Ich kenne mich aus.«
    »Bitte entnehmen Sie den Kristall innerhalb von fünf Minuten.«
    Am Ende des Atriums glitt eine gläserne Schleuse auf. Dahinter reihten sich Gänge aneinander, die Wände augenscheinlich glatt und konturlos. Über die Böden zogen sich Linien, Gangnummern und Abschnittsbezeichungen. Vogelaar betrat den angegebenen Korridor, stoppte nach wenigen Schritten und drehte den Kopf nach links. Nur bei genauem Hinsehen war zu erkennen, dass haarfeine Linien die spiegelnde Wand in winzige Quadrate segmentierten.
    »17-44-27-15 wird bereitgestellt«, sagte das System.
    Aus dem Spiegel drang ein leises, mechanisches Klicken. Dann schob sich ein dünnes, vierkantiges Stäbchen hervor. Etwas Transparentes von der Größe eines halbierten Zuckerwürfels ruhte darin. Einer von Millionen Kristallen, die das Crystal Brain in seiner Gesamtheit bildeten, hocheffiziente optische Trägermedien mit integrierter Datenverarbeitung und -Verschlüsselung, die ohne

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