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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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nach elf. Um zwölf waren sie verabredet, doch Jericho wollte das Museum vorher kennenlernen. Zur Rechten schloss sich ein lang gestrecktes, modernes Bauwerk an, dessen Sockel die ältere Architektur motivisch aufnahm und von einer luftigen Hochkolonnade gekrönt war: die James Simon-Galerie, der Zugang zum Museumsparcours. Besucher drängten in einer Glocke von Schweiß und Geschwätz hinüber zur Insel. Jericho mengte sich hinein, überquerte den Spreearm und ließ sich eine herrschaftliche Freitreppe hinaufspülen, die ins Obergeschoss der Galerie führte. In einer geräumigen Halle, gesäumt von Terrassen und Cafés, erstand er ein Ticket und folgte der Beschilderung zum Rundgang durch das Pergamon-Museum.
    Sein erster Eindruck, als er den südlichen Flügel betrat, war der eines formalen Nirwana. Einzig die flusswärts gewandten römischen Bogenfenster vermittelten so etwas wie architektonische Identität. Die Exponate, ihrem historischen Kontext entrissen, nahmen sich in der virtuell anmutenden Weite erhaben und verloren zugleich aus, eine unterkühlte Versuchsanordnung von Geschichte. Jericho wandte sich nach rechts und folgte einer Art Straße, von Mauern gesäumt, deren Friese und Zinnen in leuchtenden Farben erstrahlten, las die erläuternden Inschriften. Tierdarstellungen symbolisierten babylonische Gottheiten, schreitende Löwen für Ischtar, die Göttin der Liebe und Beschützerin der Truppen, schlangenartige Drachen für Muschku, den Gott der Fertilität und des ewigen Lebens, dem der Schutz der Stadt oblag, wilde Stiere für Adad, den Beherrscher des Wetters. »Möget Ihr Götter fröhlich wandeln auf diesem Weg«, hatte Nebukadnezar II. den Wänden eingeschrieben, wohl ohne sich träumen zu lassen, dass in diesem Augenblick Mitglieder japanischer und koreanischer Reisegruppen auf dem altehrwürdigen Terrain die Orientierung verloren und falschen Führern mit identischen Käppis hinterherhasteten. Ein gläserner Kubus barg ein Modell Babylons, aus dessen Mitte ein pyramidenartiges Bauwerk gen Himmel strebte, der Zikkurat, das Heiligtum des Marduk. An jenem ernüchternd niedrigen Turm also hatte sich der Zorn des alttestamentarischen Gottes entzündet, mit dem Ergebnis des sattsam bekannten Sprachschlamassels. Nun ja. Bis zum Zikkurat hatte die Straße ursprünglich geführt, ausgehend vom Ischtar-Tor, das den angrenzenden Saal beherrschte, eine Pracht in Blau und Sonnengelb, ebenfalls mit Tiergottheiten versetzt. Die Besucherdichte ließ Vorstellungen daran aufkommen, was hier zu Prozessionszeiten los gewesen war.
    Rush-hour in Babylon.
    Jericho durchschritt das babylonische Tor und trat 660 Jahre später aus einem römischen wieder hervor, das die Stirnseite des angrenzenden Saales einnahm: Das Markttor von Milet, ein doppelstöckiges Spektakel im Übergang zwischen hellenistischen und römischen Bautraditionen. Unentwegt hielt er nach Fluchtwegen Ausschau. Bis jetzt präsentierte sich das Museum in übersichtlicher Gliederung. Das Einzige, was einen hier aufhalten konnte, waren die gletscherartig dräuenden Besuchermassen. Neben ihm wurde in heller Aufregung gestikuliert. Blind für die Schönheit griechischer Säulenpropylone erläuterte ein koreanischer Herr seiner Fremdenführerin den Verlust seiner Gattin an die Japaner, nur um festzustellen, dass er bei den Japanern gelandet war. Die Sprachverwirrung fand ihr zeitgenössisches Äquivalent, die Reisegruppe verklumpte sich. Jericho umrundete sie und floh in den angrenzenden Saal.
    Sofort wusste er, wo er sich befand.
    Hier hatte Vogelaar ihren Treffpunkt festgelegt. Mehr als die Hälfte des hangarartigen Raumes wurde beherrscht von der Vorderfront eines kolossalen römischen Tempels. Alleine die Freitreppe zur Säulenhalle mochte zwanzig Meter durchmessen. Ein doppelt mannshoher, marmorner Comicstrip überzog den Sockel, der Beschilderung nach jener berühmte Figurenfries, der den Kampf der griechischen Götter mit den Giganten illustrierte, Chronik eines Putschversuchs und damit die perfekte Kulisse für ein Treffen mit Vogelaar: Zeus hatte Gaia brüskiert, indem er ihre urgewaltigen Kinder, die Titanen, in den Tartaros verbannte, eine Art Black Beach Prison der Vorzeit. Um sie der Unterwelt zu entreißen und den verhassten Göttervater mitsamt seiner korrupten Clique loszuwerden, stachelte Gaia ihre noch in Freiheit lebenden Söhne, die Giganten, zum Aufruhr an, wissend, dass kein Gigant je durch Götterhand sterben konnte. Die Giganten

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