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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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letzten paar Stunden an Szenarien zuwege gebracht hatte, weil es schlicht und einfach bedeutete, dass die Übergabe geplatzt war.
    Alles ging gerade fürchterlich schief.
    Die Glock in der Rechten, stürmte er aus seiner Deckung. Vom Schauplatz des Angriffs pflanzten sich Schockwellen fort, Treibgut des Entsetzens mit sich tragend, Schreie, Ächzen, Gurgeln, Stöhnen, Laute, die sich jeder Beschreibung entzogen. Augenzeugen waren zurückgeprallt und hatten solcherart eine kleine Arena geschaffen, in deren Mitte sich Vogelaar und der Kahlköpfige ausnahmen wie neuzeitliche Gladiatoren. Andere hatte das Gorgonenhaupt des Terrors erstarren lassen, womit sie in marmorne Übereinstimmung mit den Göttern und Giganten ringsum gerieten. Den Zeichnern entglitten ihre Stifte. Das spitznasige Mädchen sprang auf, hüpfte wie ein Gummiball auf der Stelle, die Hände vor dem Mund gebogen, als wolle sie die kleinen Quiekser auffangen, die ihren geöffneten Lippen mit der Regelmäßigkeit eines automatisierten Hilferufs entschlüpften. Überall drehten Menschen die Köpfe, weiteten sich Augen, beschleunigten sich Schritte, verloren Gruppen ihren Zusammenhalt, wurden frühmenschliche Fluchtprogramme hochgeladen.
    Inmitten der Auflösung aller Strukturen erblickte Jericho den Engel des Todes.
    Er rannte zu Vogelaar, dessen Kräfte unter dem Gewicht seines Opfers zu erlahmen drohten. Der Sterbende stürzte zu Boden, den Südafrikaner mit sich reißend. Vom Nordflügel her näherte sich der Engel mit Riesenschritten, weißhaarig, schnauzbärtig, die Augen hinter einer getönten Brille verborgen, doch sein Gang, seine Motorik, die Pistole, die seinem Unterarm zu entwachsen schien, ließen keinen Zweifel an seiner Identität.
    Auch Vogelaar sah ihn kommen.
    Mit einem Aufschrei gelang es ihm, den Oberkörper des Kahlköpfigen in die Höhe zu reißen. Im nächsten Moment explodierte dessen lederne Brust, als die für ihn gedachte Ladung eindrang. Jericho warf sich zu Boden. Vogelaar, im Bemühen, den Toten zur Seite zu stemmen, eröffnete seinerseits das Feuer auf Xin, der zwischen ziellos umherrennenden Menschen in Deckung ging. Eine Frau wurde an der Schulter getroffen und sackte zu Boden.
    »Das hat keinen Sinn!«, schrie Jericho. »Raus hier.«
    Der Südafrikaner trat nach der Leiche, versuchte freizukommen. Jericho zerrte ihn hoch. Mit einem Geräusch, als klatsche Fleisch auf eine Arbeitsplatte, riss Vogelaars linker Oberschenkel auf. Er stolperte gegen Jericho und krallte sich an ihm fest.
    »Ins Restaurant«, keuchte er. »Nyela –«
    Jericho packte ihn unter den Armen, ohne die Glock loszulassen. Der Angeschossene war zu schwer, viel zu schwer. Um sie herum brach die Hölle los.
    »Nimm dich zusammen«, ächzte er. »Du musst –«
    Vogelaar stierte ihn an. Langsam sackte er zu Boden, und Jericho begriff, dass Xin ihn ein weiteres Mal getroffen hatte. Panik erfasste ihn. Er suchte die Menge nach dem Killer ab, erspähte den weißen Schopf. Nur Augenblicke noch, bis Xin wieder freie Sicht hätte.
    »Hoch mit dir«, schrie er. »Los!«
    Vogelaar entglitt ihm. Erschreckend schnell verwandelte sich sein Gesicht in eine wächserne Maske. Er fiel auf den Rücken und spie einen Schwall hellroten Blutes aus.
    »Nyela – weiß nicht, ob – wahrscheinlich tot, aber – vielleicht –«
    »Nein«, flüsterte Jericho. »Du darfst nicht –«
    Wenige Meter weiter wurde ein Mann wie von einer Riesenfaust gepackt und hochgehoben. Er flog ein Stück durch die Luft und prallte mit ausgebreiteten Armen zu Boden.
    Xin bahnte sich seinen Weg.
    Vogelaar, dachte Jericho verzweifelt, du kannst hier nicht einfach verrecken, wo ist das Dossier, du bist unsere letzte Hoffnung, steh gefälligst auf. Steh auf. – Steh auf!!
    Dann machte er kehrt und floh, so schnell er konnte.
     
    Vogelaar starrte ins Licht.
    Er war nie ein gläubiger Mensch gewesen, und auch jetzt erschien ihm die Vorstellung eines Himmelreichs, in dem jeder Idiot zu astraler Läuterung fand, wie ein billiges Jahrmarktsversprechen. Religion war eine der Ritzen, in die das Kerbtier nie gekrochen war. Die späte Angst eines Cyrano de Bergerac, der den Glauben zeitlebens geschmäht hatte, um auf dem Sterbebett Abbitte zu leisten für den Fall, dass es doch einen Gott gab, blieb ihm unverständlich. Das Leben ging vorüber. Wozu sollte er die verbleibende Zeit an irgendein Paradies verschwenden? Dass er es überhaupt tat, verdankte sich nur dem strahlend weißen Neonhimmel, der den Saal

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