Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
kaputte Statuen mit Lebensentwürfen übereinzubringen, in denen man ohne Arme im Arsch war und Demoliertes repariert wurde. Mit altklugen Stimmen heuchelten sie Begeisterung für halbe Hüften, steinerne Stummel und das fragmentierte Antlitz eines Königs, ohne alldem entfliehen zu können.
    Ohne fliehen zu können –
    Genau. Hier oben saß man in der Falle.
    Schwarzseher, schalt er sich. Sie hatten Vogelaar das Leben gerettet, außerdem war der Telephos-Saal nicht die Küche des Muntu. Die Übergabe würde stattfinden, schnell und verschwiegen. Das Schlimmste, was ihnen passieren konnte, war, dass die Unterlagen nicht hielten, was ihr Besitzer versprach. Er versuchte sich zu entspannen, doch seine Schultern hatten die Festigkeit von Brückenträgern angenommen. Der Vater mühte sich, den kindlichen Geist für eine schwebende rechte Brust zu entfachen, aus der er auf die Schönheit der göttlichen Isis schloss. Ratlose Augen begaben sich auf die Suche nach Schönheit. Jericho drehte sich weg und empfand einmal mehr Dankbarkeit, nicht mehr jung zu sein.
     

VOGELAAR
     
    Seine Gedanken kreisten. Pausenlos ritt er das Karussell des Wenn und Aber, während ihn seine Füße mechanisch die Prozessionsstraße entlangtrugen. Wenn Jericho und das Mädchen zur vereinbarten Zeit dort wären, wenn Xin sich an die Absprache hielt, wenn man dem Chinesen tatsächlich trauen konnte – was aber, wenn nicht? Hier und jetzt drohte er seine letzte Chance zu verspielen, Nyela aus den Klauen dieses Irrsinnigen zu befreien, der möglicherweise gar nicht vorhatte, sie und ihn überleben zu lassen. Seine jahrzehntelange Erfahrung im Finden von Auswegen bliebe ungenutzt. Unbewaffnet und ohne Handy, wie er war, in einem überfüllten Museum, standen seine Chancen, Xin auszuschalten, eher schlecht, doch unmöglich war es nicht. Konnte er es sich wirklich leisten, auf Tricks zu verzichten? Wie gefährlich war überhaupt dieser Mickey, in dessen Obhut sich Nyela immer noch befand? Insgesamt legte der Ire das holprige Verhalten eines Durchschnittskriminellen an den Tag, doch wenn er für Xin arbeitete, musste er gefährlich sein. Dennoch traute sich Vogelaar zu, mit ihm fertig zu werden, aber dafür musste er Xin erledigen.
    Also angreifen. Oder doch nicht? Doch. Innerhalb der nächsten paar Minuten, noch bevor er den Pergamonsaal erreichte. Ohne Waffe, ohne Plan.
    Ohne Verstand!
    Nein, er konnte nicht angreifen. Gegen den verrückten Chinesen half nur Glück, außerdem, was, wenn Xin gewillt war, sein Versprechen zu halten? Wenn also er, Vogelaar, im Versuch, ihn auszutricksen, scheitern und damit Nelés Tod überhaupt erst heraufbeschwören würde, von seinem eigenen ganz zu schweigen?
    Misstrauen? Vertrauen? Misstrauen?
     
    Fünf Minuten zuvor, in der James-Simon-Galerie.
    »Ich verstehe dich«, sagt Xin einfühlsam. »Ich würde mir auch nicht trauen.« Er ist dicht hinter Vogelaar, die Flechettes-Pistole unter seinem Jackett verborgen.
    »Und?«, fragt Vogelaar. »Hättest du Grund?«
    Xin überlegt einen Moment.
    »Hast du dich mal mit Astrophysik auseinandergesetzt?«
    »Es gab andere Sachen in meinem Leben«, schnaubt Vogelaar. »Umstürze, bewaffnete Konflikte –«
    »Schade. Du würdest mich besser verstehen. Was Physiker unter anderem beschäftigt, ist die Definition der Randbedingungen, unter denen das Universum stabil bleibt. Beziehungsweise, unter denen es überhaupt erst zu dem werden konnte, was es ist. Jenseits des reinen Faktenkatalogs gibt es zwei unterschiedliche Sichtweisen. Der einen zufolge ist das Universum unendlich stabil, weil es nie eine andere Wahl hatte, als sich in der bekannten Form zu entwickeln. Unter anderen Vorzeichen hätte vielleicht kein Leben entstehen können. Sich darüber Gedanken zu machen, ist allerdings ebenso müßig wie darüber nachzudenken, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du als Frau auf die Welt gekommen wärest.«
    »Klingt fatalistisch und langweilig.«
    »In philosophischer Hinsicht teile ich deine Meinung. Darum spricht die andere Fraktion lieber davon, wie unendlich fragil das Universum sei, da schon die geringste Abweichung in den Randbedingungen zu fundamentalen Veränderungen führen würde. Eine Winzigkeit an zusätzlicher Masse. Ein minimales Defizit an bestimmten Teilchen. Der ersten Fraktion klingt das zu sehr nach Kartenhaus, womit sie recht hat. Aber die zweite Sichtweise kommt unserer Vorstellung vom Dasein näher. Was wäre, wenn? Ich persönlich hänge einer

Weitere Kostenlose Bücher