Limit
Sie einfach hier, bis wir davonrollen«, sagte er. »Und nehmen Sie solange keine Gespräche entgegen.«
Der Leiter der Sonderkommission war auf dem Weg zum Skyport des Polizeipräsidiums, als ihn ein Anruf erreichte. Bevor er das Gespräch entgegennehmen konnte, sah er eine Beamtin über das Startfeld laufen.
»Wir haben den Glatzkopf«, hörte er ihre Stimme.
Er zögerte. Der Anruf erfolgte von einem der Leute, die er beauftragt hatte, die Umstände des Tu'schen Berlinaufenthalts auszukundschaften. Die Beamtin stoppte und hielt ihm atemlos ihr Handy unter die Nase. Darauf war ein Foto des Mannes zu sehen, der mit Bleistiftsplittern im Frontallappen des Großhirns auf einem Obduktionstisch lag.
»Ich rufe zurück«, sagte er ins Telefon. »Zwei Minuten.«
»Mickey Reardon«, verkündete die Beamtin. »Ein Fossil des irischen Widerstands, Spezialist für Alarmanlagen. Seit der Entwaffnung der IRA vor 20 Jahren freischaffend für alle möglichen Geheimdienste und Institutionen im Grenzfeld zwischen Politik und Verbrechen.«
»Ein Ire? Ach du lieber Himmel.«
Er hätte nicht entsetzter sein können, wäre Reardon Mitglied der ehemaligen nordkoreanischen Volksarmee gewesen. Wann immer reguläre Truppen oder Untergrundarmeen ihre Funktion einbüßten, spien sie Objekte wie Reardon aus, die, sofern sie nicht komplett ins Lager des organisierten Verbrechens wechselten, oft genug mit internationalen Geheimdiensten im Bunde waren.
»Für wen hat er gearbeitet?«
»Nur teilweise bekannt. Immer mal wieder für den Secret Service, für den Mossad, den Zhong Chan Er Bu, den BND. Ein vielseitiger Bursche, geschickt im Ausschalten und Installieren von Sicherheitssystemen. Mehrfach auffällig geworden im Zusammenhang mit schwerer Körperverletzung, möglicherweise auch Mord.«
»Reardon war bewaffnet«, sagte der Kommissionsleiter nachdenklich. »Also auf einer Mission. Donner schaltet ihn aus, wird erschossen. Von dem Weißhaarigen. Eine geheimdienstliche Operation? Reardon und der Weißhaarige auf der einen Seite, Donner und der Blonde, der ihm helfen wollte, auf der anderen –«
Beinahe vergaß er, dass er auf dem Weg ins Grand Hyatt war.
»Wir müssen los«, sagte sein Begleiter.
Und so fiel ihm erst in der Luft wieder ein, dass er jemanden hatte zurückrufen wollen.
Der Jet bog auf die Startbahn ein. Tu drosselte den Schub und wartete auf die Starterlaubnis. Er war in weit höherem Maße beunruhigt, als er es sich hatte anmerken lassen. Streng genommen hatte Jericho recht. Was sie hier taten, war wider jede Vernunft. Sie legten sich ohne Not mit der deutschen Polizei an, die ihnen möglicherweise sogar hätte weiterhelfen können.
Möglicherweise aber auch nicht.
Tus Erfahrungen mit der Willkür staatlicher Stellen hatte unzweifelhaft ein Trauma hinterlassen, auch wenn er sich mühte, nicht als Maus zu enden, die in jedem Schatten eine Katze sah. Immerhin lag der Ursprung seiner Paranoia 28 Jahre zurück. Dennoch war er drauf und dran, die anderen zu Geiseln seines Misstrauens zu nehmen, allen voran Yoyo, aufgrund eigener Erfahrungen äußerst empfänglich für paranoide Verhaltensmuster. Eindeutig verhielt er sich manipulativ. Er redete sich ein, richtig zu handeln, und möglicherweise hatte er sogar recht, nur dass es darum längst nicht mehr ging: So viel wenigstens war ihm klar geworden, als er mit Yoyo durch das nächtliche Berlin gestreift war und plötzlich begriffen hatte, dass seine Paranoia im Gegensatz zu der Hongbings einfach nur fröhlicher ausfiel. Der eine siechte in den Katakomben der Erinnerung dahin, der andere durchschritt sie frohgemut und pfeifend. Verglichen mit Hongbing ging es ihm tatsächlich blendend, indes nicht blendend genug, um auf Dauer alleine mit allem fertigzuwerden.
Also hatte er sie einiges wissen lassen und sie damit nur in umso tiefere Verwirrung gestürzt. Es half alles nichts. Er würde ihr auch den Rest erzählen müssen, um den bislang nur Joanna wusste, die ganze Geschichte. Mit stiller Billigung Hongbings würde er den Befreiungsschlag führen, sobald sich die Möglichkeit auftat. Lieber wäre es ihm gewesen, Hongbing hätte Yoyo ins Bild gesetzt, doch so war es auch gut. Alles war besser als Schweigen.
Wir müssen damit abschließen, dachte er. Nie wieder fliehen, weder in den Erfolg noch in die Verzweiflung.
Die Stimme im Kopfhörer erteilte die Freigabe. Tu fuhr die Triebwerke auf Startleistung hoch und beschleunigte. Die Schubkräfte drückten ihn in
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