Limit
schlagen?«, stöhnte er. »Es nervt.«
Zu seiner Überraschung hörte Hanna tatsächlich auf. Er legte die Waffe beiseite und massierte seine Kinnlade.
»Und was mache ich jetzt mit dir?«, fragte er.
Es klang nicht, als erwarte er wirklich einen konstruktiven Vorschlag. Eher schwangen Untertöne von Resignation in seinen Worten mit, ein leises Bedauern, das Locatelli mehr ängstigte, als hätte Hanna ihn angeschrien.
»Warum lässt du mich nicht einfach laufen?«, schlug er heiser vor.
Der Kanadier schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.«
»Warum nicht? Was wäre die Alternative?«
»Dich nicht laufen zu lassen.«
»Also mich abzuknallen.«
»Ich weiß es nicht, Warren.« Hanna zuckte die Achseln. »Was musstest du auch den Helden spielen?«
»Verstehe.« Locatelli schluckte. »Warum hast du's dann nicht längst schon getan? Oder hast du so was wie 'ne Quote? Nie mehr als drei an einem Tag? Du Arschloch!« Mit einem Mal sah er die Gäule galoppieren und sich selbst hinterher hecheln, um sie wieder einzufangen, weil es vielleicht nicht die beste Idee war, Hanna noch mehr zu verärgern, doch in der Kernschmelze seiner Wut verging jeder klare Gedanke. Er stemmte sich hoch, schaffte es in sitzende Position und funkelte Hanna hasserfüllt an. »Macht dir das eigentlich Spaß? Geht dir einer ab, wenn du Leute umbringst? Was bist du nur für ein perverses Stück Scheiße, Carl? Du widerst mich an! Was zum Teufel tust du hier? Was willst du von uns?«
»Ich mache meinen Job.«
»Deinen Job? Es war dein verfickter Job, Peter in die Schlucht zu stoßen? Marc und Mimi in die Luft zu jagen? Das ist dein verdammter Job, du blöde Sau?«
Aufhören, Warren!
»Du Dreckschwein! Du Kackwurst!«
Hör auf!
»Beschissener Wichser! Warte, bis ich meine Hände frei bekomme.«
Oh, Warren. Dumm, zu dumm! Warum hatte er das gesagt? Warum hatte er sich nicht damit begnügt, es zu denken? Hanna runzelte die Stirn, doch es schien, als habe er gar nicht richtig hingehört. Sein Blick wanderte zur Luftschleuse, dann beugte er sich unvermittelt vor.
»Jetzt pass mal auf, Warren. Was ich tue, hat eher mit dem Abholzen von Bäumen und Trockenlegen von Sümpfen zu tun. Verstehst du? Töten kann notwendig werden, aber mein Job besteht nicht darin, etwas zu zerstören, sondern etwas anderes zu erhalten oder aufzubauen. Ein Haus, eine Idee, ein System, was immer du willst.«
»Welches Scheißsystem legitimiert sich denn durch Töten?«
»Jedes.«
»Kranker Idiot. Und für welches System hast du Mimi, Marc und Peter umgebracht?«
»Hör auf, Warren. Du willst mir doch nicht ernsthaft einen Schuldkomplex aufnötigen?«
»Arbeitest du für irgendeine Scheißregierung?«
»Im Endeffekt arbeiten wir doch alle für irgendeine Scheißregierung.« Hanna lehnte sich mit einem Seufzer der Duldsamkeit zurück. »Gut, ich erzähl dir was. Erinnerst du dich an die Weltwirtschaftskrise vor sechzehn Jahren? Alle Welt klapperte mit den Zähnen. Auch Indien. Aber dort löste die Krise zugleich einen Schub aus! Man investierte in Umweltschutz, Hightech, Bildung und Landwirtschaft, lockerte das Kastensystem, exportierte Dienstleistungen und Innovationen, halbierte die Armut. Anderthalb Milliarden überwiegend junge, äußerst motivierte Baumeister der Globalisierung schoben sich auf Platz drei der Weltwirtschaft.«
Locatelli nickte verblüfft. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, warum Hanna ihm das erzählte, aber es war immerhin besser, als aus Mangel an Gesprächsstoff erschossen zu werden.
»Natürlich fragte sich Washington, wie man damit umzugehen habe. Beispielsweise störte man sich an der Vorstellung, ein erstarktes Indien könne vor lauter Annäherung an Peking den guten alten Onkel Sam vergessen. Welcher Block würde sich herauskristallisieren? Indien und die USA? Oder Indien, China und Russland? Washington hatte die Inder immer als wichtige Verbündete betrachtet und hätte sie zum Beispiel gerne gegen China instrumentalisiert, doch Neu-Delhi pochte auf Autonomie und wollte sich von niemandem reinreden oder gar benutzen lassen.«
»Was hat das alles mit uns hier zu tun?«
»In dieser Phase, Warren, wurden Leute wie ich auf den Subkontinent geschickt, um für den Drall in die richtige Richtung zu sorgen. Wir waren angewiesen, das indische Wunder nach Kräften zu unterstützen, aber als 2014 der chinesische Botschafter in Neu-Delhi von der LimGI, der Liga für ein muslimisches Großindien, in die Luft gesprengt wurde, trübte das
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