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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Zürcher Physiognomie, die unversehens in schallendes Gelächter aufbrechen konnte, nahm Sex ebenso wenig ernst wie sie, mit dem Ergebnis, dass beide mehr davon hatten.
    Demgegenüber nun O'Keefe. Objektiv betrachtet, sofern der Objektivierung von Schönheit überhaupt eine Berechtigung zukam, sah er weit besser aus als Walo, im Sinne klassischer Proportionierung jedenfalls, war perfekt gebaut und gut 16 Jahre jünger. Darüber hinaus erweckte er den Anschein eines maulfaulen und bisweilen mürrischen Melancholikers. Seine Rotzigkeit kaschierte Unsicherheit, seine Schüchternheit Gleichgültigkeit, doch er war Schauspieler genug, um mit alldem professionell zu kokettieren. Als Folge umgab ihn jene Aura des Geheimnisvollen, die Millionen emanzipierter, weiblicher Individuen in willenlosen Brei verwandelte. Vermeintlich scheu kultivierte er das ewige Nichtangekommensein in einer Welt, deren Mitbegründer und Ureinwohner er war, ließ den Rüpel raushängen, als hätten sich Marlon Brando, James Dean und Johnny Depp nicht zur Genüge ad absurdum geführt, verströmte schwitzigen Rebellen-Appeal. Beim besten Willen konnte man ihn nicht als Stimmungskanone bezeichnen. Und doch erahnte Heidrun hinter der abweisenden Fassade die Tauglichkeit zum Exzess, zum anarchischen Spaß, zur wilden Party, wenn nur die richtigen Leute zusammenkämen. Sie bezweifelte nicht, dass man mit ihm rumalbern und lachend Sex haben konnte bis zur völligen Erschöpfung von Libido und Zwerchfell, stundenlang.
    »Sie gehen dir auf den Sack, richtig?«, mutmaßte sie. »Unsere geschätzten Mitreisenden.«
    O'Keefe rieb Wasser aus seinen Augen.
    »Ich gehe mir selber auf den Sack«, sagte er. »Weil ich denke, dass es mein Problem ist.«
    »Was?«
    »Hier oben nicht wie ein spiritueller Hefeteig aufzugehen. Scheint ja fast unvermeidlich. Jeder lässt pausenlos die allerschönsten philosophischen Betrachtungen vom Stapel. Niemand, der nicht einen guten Spruch draufhätte. Die einen heulen schon los, wenn sie die Erde überhaupt sehen, die anderen gefallen sich als Flagellanten ihres irdischen Strebens. Eva sieht Ungerechtigkeit und Mukesh Nair in jedem Körnchen Mondstaub das Staunen machende Wunder. Eine komplette gesellschaftliche Elite scheint bestrebt, ihr bisheriges Leben zu relativieren, bloß weil sie auf einem Klumpen Stein hockt, der weit genug von der Erde weg ist, dass man sie als Ganzes sehen kann. Und was fällt mir dazu ein? Lediglich ein blöder alter Spruch aus dem Präkambrium der Raumfahrt.«
    »Lass hören.«
    »Astronauten sind Männer, die ihren Frauen nichts von ihren Reisen mitbringen müssen.«
    »Wirklich blöd.«
    »Siehst du? Jeder scheint sich hier oben zu finden. Und ich weiß nicht mal, wonach ich suchen soll.«
    »Na und? Lass sie doch.«
    »Ich sagte ja, es ist nicht deren Problem. Es ist meines.«
    »Du klagst auf ziemlich hohem Niveau, mein liebster Finn.«
    »Tue ich nicht.« Er funkelte sie erbost an. »Das hat mit Selbstmitleid nicht das Geringste zu tun. Ich komme mir einfach nur – leer vor, verkrüppelt. Ich würde auch gerne diese Ergriffenheit spüren, in Ehrfurcht verdampfen und auf links gedreht zur Erde zurückkehren, um fortan das Wort der Erleuchtung im Munde zu führen, aber ich kann nichts von alledem empfinden. Mir fällt nicht viel ein zu diesem Trip, außer, dass es nett ist, mal was anderes. Aber es ist und bleibt der Scheißmond, verdammt noch mal! Keine höhere Daseinsstufe, kein Verstehen und Begreifen von irgendwas. Es spiritualisiert mich nicht, rührt nichts in mir an, und das muss doch mein Problem sein! Da muss doch mehr sein! Ich komme mir vor wie abgestorben.«
    Amphibisch paddelnd trieben sie aufeinander zu. Und während Heidrun noch überlegte, welche Erwiderung dem Ausbruch angemessen sei, ohne dass es tantenhaft klang, war sie ihm plötzlich sehr nahe. Falten und Fältchen legten ein durchzechtes, von Ratlosigkeit geleitetes Leben offen. Sie erkannte O'Keefes Unvermögen, sein brillantes Talent mit der banalen Erkenntnis in Einklang zu bringen, dass er trotz seiner besonderen Begabung kein besonderer Mensch war, sondern einfach am Leben und wie jeder andere dazu verdammt, auf dem Highway, den sie alle entlangrasten, eines Tages gegen die Wand zu knallen, ohne sich dem Sinn auch nur genähert zu haben. Keine Spur von Apotheose. Nur jemand, der von allem zu viel gehabt hatte, ohne satt geworden zu sein, und der nun, in seiner ganzen Ratlosigkeit, ehrlicher auf die Eindrücke der Reise

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