Limit
Wendeltreppe hämmerten. Aus dem Hals drang das Brausen des Feuers zu ihr herab, gefolgt von den Flammen selbst, die hungrig an Kokoschkas Jacke und seiner Hose herabkrochen. Etwas eigenartig Tastendes, Suchendes lag in ihrem Vordringen. In Wellen flossen sie über die Decke, Struktur und Beschaffenheit erforschend auf der Suche nach Nahrung.
Lawrence sprang auf.
Sie musste Kokoschkas Körper frei bekommen, damit sich das Schott schließen konnte. Sauerstoffbrände waren unkontrollierbar, heißer und zerstörungsfähiger als jeder herkömmliche Brand. Auch wenn das Gas als solches nicht brannte, unterstützte es auf fatale Weise die Zerstörung nahezu jeden Materials, außerdem war es schwerer als Luft. Die Glut würde wie Lava aus Gaias Hals schwappen und den kompletten Suitenbereich erfassen. Mit einem Satz war sie beim Kontrollfeld für die manuelle Bedienung, duckte sich gegen die Hitze, hämmerte gegen den Mechanismus, der das Schott zurückfahren ließ. Es öffnete sich und gab Kokoschka frei. Er stürzte die Treppe herunter und polterte auf die Empore, reflexartig um sich tretend. Feurige Tentakel schossen aus der Luke, als wollten sie die ihnen entrissene Beute wieder nach oben ziehen. Das Schott, im Schließen begriffen, fuhr durch sie hindurch und riegelte Gaias Hals von den Schultern ab.
Lichterloh brannte der Koch. Sprühnebel chemischer Löschmittel drangen aus dem Lüftungssystem, ein unzureichender Schutz. Als Nächstes würden die Grünpflanzen Feuer fangen, die Wandverkleidungen, der Boden. Lawrence riss einen tragbaren CO 2 -Feuerlöscher von der Wand, entleerte ihn auf den mittlerweile reglos daliegenden Körper, richtete den Strahl gegen die Decke. In der Hölle über ihr hatte die Löschanlage wohl längst den Dienst quittiert. Inzwischen mussten dort unvorstellbare Temperaturen herrschen. Rußige Schwaden drangen in ihre Atemwege und nahmen ihr jede Sicht. Ihr Brustkorb begann zu schmerzen. Wenn sie nicht augenblicklich Frischluft bekam, drohte ihr eine Rauchvergiftung. Immer noch schwelten Kokoschka, die Treppe und Teile der Deckenverkleidung vor sich hin, flackerten kleine Brände, doch statt sich deren weiterer Eindämmung zu widmen, taumelte sie mit tränenden Augen und angehaltenem Atem, das Schleifen und Rumpeln der Schotts im Ohr, die nun auch Gaias Schultersegment abriegelten, die Empore entlang. Wo diese in den rechten Arm der Figur mündete, lag ein Notfalldepot, das neben den obligatorischen Kerzen auch Sauerstoffmasken bereithielt. Hastig streifte sie eine der Masken über, sog gierig den Sauerstoff in sich hinein, sah, wie sich der Zugang zum Arm verschloss.
Sie war nicht schnell genug gewesen.
Sie saß in der Falle.
Erst in der Lobby war es Tim geglückt, seine Schwester zu stellen, die in Satyrsprüngen über die gläsernen Brücken zu entkommen versucht hatte, mit zitternden Knien, sodass er unentwegt fürchtete, sie zusammenbrechen und abrutschen zu sehen, doch jedes Mal setzte sie ihre wilde Flucht fort. Erst beim letzten Sprung strauchelte sie, fiel und kroch auf allen vieren davon. Tim federte unmittelbar hinter ihr ab, bekam ihr Fußgelenk zu fassen. Lynns Ellbogen knickten ein. Schlangengleich rutschte sie auf dem Bauch davon im Bemühen, ihm zu entwischen. Er hielt sie fest, drehte sie auf den Rücken und erhielt einen veritablen Faustschlag. Lynn keuchte, knurrte, versuchte, ihn zu kratzen. Er umklammerte ihre Handgelenke und zwang sie nieder.
»Nicht!«, rief er. »Hör auf! Ich bin es.«
Sie geiferte, schnappte nach ihm. Als kämpfe er mit einem tollwütigen Tier. Der Beweglichkeit ihrer Arme beraubt, schlug sie mit den Beinen, warf sich hin und her, verdrehte plötzlich die Augen und erschlaffte. Ihr Atem ging stoßweise. Einen Moment lang fürchtete er, sie an die Bewusstlosigkeit zu verlieren, dann sah er ihre Lider flattern. Ihr Blick klärte sich, stellte Vertrautheit her.
»Alles ist gut«, sagte er. »Ich bin bei dir.«
»Es tut mir leid«, wimmerte sie. »Es tut mir so leid!«
Sie begann zu schluchzen. Er ließ ihre Handgelenke los, nahm sie in die Arme und begann sie wie ein Baby zu wiegen.
»Hilf mir, Tim. Bitte hilf mir.«
»Ich bin hier. Es ist gut. Alles ist gut.«
»Nein, ist es nicht.« Sie presste sich an ihn, verkrallte ihre Finger im Stoff seiner Jacke. »Ich werde verrückt. Ich verliere den Verstand. Ich –«
Der Rest ging in neuerlichen Weinkrämpfen unter, und Tim fühlte sich schuljungenhaft unvorbereitet, obwohl gerade das
Weitere Kostenlose Bücher