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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Schreckgespenst dieser Situation ihn bewogen hatte, überhaupt mitzukommen auf Julians idiotische Lustreise. Nun jedoch drohte sein Geist wegen fortgesetzter Überforderung in Streik zu treten und ihn nackter Angst preiszugeben. Er legte den Kopf in den Nacken und erblickte ein Phantom aus Rauch in der Kuppel des Atriums, das unheilvoll seine Schwingen ausbreitete. Etwas entwuchs den Balkonen, metallene Platten, riesige Schotts, und er begann zu ahnen, dass der Horror erst begann, und dass dort oben etwas Entsetzliches vonstattenging.
     

KAP HERACLIDES, MONTES JURA
     
    Während der ersten Minuten waren sie schnell vorangekommen, bis sich herausstellte, dass die größeren Brocken einander stützten und zu bedenklicher Eigendynamik fanden, sobald man einen von ihnen entfernte. Mehrfach drohten er und Hanna überrollt zu werden. Wann immer Locatelli in letzter Sekunde aus dem Weg sprang, eilten die Gnome seines inneren Widerstands an ihre Plätze und fertigten kühne Ursache-Wirkung-Schemata von Trümmern, die – in exakt berechnete Bahnen gelenkt – Hanna platt wie eine Pizza walzen würden. Die Achillesferse all dieser Vorhaben war, dass sich im Trümmerfeld rund um die Ganymed nicht das Geringste berechnen ließ, also fügte er sich in Kooperation. Sie trugen den Schutt von oben her ab, wachsam und einander sichernd, schoben, zogen, zerrten und stemmten und sahen sich nach zwei Stunden schweißtreibender Arbeit mit ihren physischen Grenzen konfrontiert. Mehrere der kolossalen Findlinge ließen sich zwar bewegen, wollten aber nicht weichen. Keuchend lehnte Locatelli an einem der Brocken und wunderte sich, Hanna nicht ebenfalls wie einen Hund hecheln zu hören.
    Eindeutig war der Kanadier in besserer Verfassung.
    »Und was jetzt?«, fragte er.
    »Was schon. Wir müssen die Klappe frei bekommen.«
    »Ach ja? Dämlicher Schlaumeier! Es geht aber nicht.«
    Hanna bog den Rücken durch und betrachtete die Blockade. Locatelli konnte die Relais in seinem Schädel summen hören.
    »Willst du nicht eine deiner Bomben reinfeuern?«, schlug er vor. »Sprengen wir die Dinger in die Luft.«
    »Nein, die Energie würde nach außen verpuffen. Obwohl –« Hanna zögerte, trat näher heran und ging in die Hocke, wo zwei der Felsen aneinandergrenzten. Seine Hand grub sich in den Spalt am Boden und förderte etwas Geröll zutage. »Vielleicht hast du recht.«
    »Klar hab ich recht«, keuchte Locatelli. »Ich hab meistens recht. Fluch und Segen meiner Existenz. Je tiefer dein Scheißgeschoss eindringt, desto mehr kann es anrichten.«
    »Ich weiß trotzdem nicht, ob die Sprengkraft ausreicht. Die Steine sind riesig.«
    »Aber porös! Das ist Basalt hier, Mann, Lavagestein. Mit etwas Glück platzen Teile davon ab, und du destabilisierst den ganzen Haufen.«
    »Gut«, stimmte Hanna zu. »Versuchen wir es.«
    Sie vertieften und verbreiterten den Kanal. Zwischendurch verschwand der Kanadier im Innern des Schiffs, brachte die Konsolenstütze des Grasshoppers herbei, und sie gruben mithilfe des provisorischen Werkzeugs weiter, scharrten und schufteten, bis Hanna den Kanal für tief genug erklärte. In angemessener Entfernung zur Ganymed, auf leicht erhöhter Position, schichteten sie kleinere Brocken aus der Umgebung zu einer Mauer, legten sich flach dahinter, und Hanna zielte in den Stollen.
    »Kopf runter!«
    Wie ein neugeborener Kosmos expandierte zwischen den Findlingen eine graue Wolke. Locatelli duckte sich. Bruchstücke schlugen rechts und links von der Mauer in den Basalt. Als er den Kopf über die Abschirmung hob, schien es zuerst, als sei gar nichts passiert. Dann sah er den zuvorderst liegenden, dicksten Findling unendlich langsam seinen steinernen Leib verlagern und um sich selbst zirkulieren. Der daneben rückte nach, drängte den Nachbarn beiseite, brach unvermittelt an der Basis auseinander und kullerte fragmentiert die Anhöhe herab.
    »Yeah!«, schrie Locatelli. »Meine Idee. Meine Idee!«
    Immer noch drehte sich der dicke Brocken, wurde von einem dritten, der in die entstandene Lücke vordrang, angerempelt, neigte sich endlich, rollte schwerfällig ein paar Meter weiter und entfesselte eine Kettenreaktion nachfolgenden Gerölls, das munter zu Tale prasselte.
    »Yeah! Yeah!«
    Er sprang auf. In langen Sätzen hasteten sie aus ihrem provisorischen Schützengraben hervor und räumten den verbliebenen Schutt beiseite. Trunken von Dopamin, vergaß Locatelli über dem gemeinsamen Erfolg einen Augenblick lang die Umstände

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