Limit
Kraft unkontrolliert ausströmenden Sauerstoffs. Die bloße Geschwindigkeit, mit der sich das Gas seinen Weg durch die winzigen Einschussöffnungen bahnte, erhitzte es auf eine Weise, dass die Katastrophe kaum zu vermeiden war. Von der verzweifelten Hoffnung getragen, es rechtzeitig nach draußen zu schaffen, folgte er Lawrence durch die kleiner werdende Luke, fiel tatsächlich ein kleines Stück, dann schob sich das Schott in seinen Bauch und drückte ihn gegen die Wand.
Er steckte fest.
»Nein, nein, nein, nein, nein«, wimmerte er.
Jetzt konnte er das leise Zischen hören, mit dem der Sauerstoff ausströmte. In Todesangst versuchte er, die heranfahrende Metallplatte wegzustemmen. Die Luft wurde ihm abgeschnürt, seine Organe zusammengequetscht. Er hörte seine unteren Rippen brechen, sah Aileen über Chucks Leiche knien und ihr Gesicht in seine Halsbeuge versenken. Metallischer Geschmack breitete sich in seiner Mundhöhle aus, seine Augen quollen hervor. Er versuchte zu schreien, doch alles, was er zustande brachte, war ein ersterbendes Krächzen.
»Chuck«, wimmerte Aileen.
Es gab ein nicht mal sonderlich lautes, puffendes Geräusch, als sich der Sauerstoff entzündete. Zwei gleißende Feuerlanzen stachen plötzlich aus der Wand, wo die Projektile eingeschlagen waren, erfassten Aileen, Chucks Leiche und den verkrümmten Körper Ashwini Anands, Wände und Boden. Rasend schnell griffen die Flammen um sich, leckten an den Fahrstuhltüren empor, drangen in die offene Kabine des Personalfahrstuhls vor, lebendigen Wesen gleich, Feuergeistern in orgiastischer Ausgelassenheit. Im nächsten Moment brannte das halbe Zwischengeschoss. Nie zuvor hatte Kokoschka ein Feuer so lodern sehen, dabei hieß es doch, in verminderter Schwerkraft würden sich Brände langsamer ausbreiten, doch das hier –
Er spie einen Schwall Blut. Unerbittlich drückte das Schott gegen seinen geschundenen Leib, und als nehme das Feuer ihn erst jetzt in seiner Ausweglosigkeit wahr, reckte es sich zu neuer Größe und schien einen Moment unschlüssig zu verharren.
Dann sprang es ihn hungrig an.
Miranda Winter hatte zusammen mit Sushma Nair den Weg in tiefer liegende Gefilde angetreten, nachdem nicht zu überhören war, dass dort lautstark gestritten wurde. Auf der Treppe vom Selene ins Chang'e vernahmen sie in schneller Folge ein zweimaliges Plopp, das ihre cineastisch geschulte Fantasie mit schallgedämpften Pistolenschüssen assoziierte, gefolgt von Aileens markerschütterndem Geheul, dann glockenartige Geräusche, als werde ein Hammer gegen Metall geschlagen. Sushmas Blick gerann zu nackter Angst, während Winter von eher robuster Natur war, also bedeutete sie der Inderin zu warten und näherte sich dem Durchgang zum Hals.
Was zum –
»Das Schott schließt sich«, rief sie. »Hey, die schließen uns ein!«
Verblüfft trat sie näher, um durch den verbliebenen Spalt einen Blick nach unten zu erhaschen.
Eine Flammengestalt schoss ihr entgegen.
Winter prallte zurück. Der Dämon fauchte sie an, loderte, griff nach ihr mit Funken sprühenden Extremitäten, versengte ihre Wimpern, Brauen und Haare. Sie stolperte, stürzte und stieß sich ab, um den rasenden Flammen zu entkommen.
»Oh, Scheiße!«, schrie sie. »Hau ab, Sushma, hau ab!«
Züngelnd wälzte sich der Dämon heran, vervielfachte sich, gebar neue zuckende Kreaturen, die umherhuschten und lustvoll alles in Brand setzten, was im Wege stand. Mit unheimlicher Schnelligkeit überzogen sie die gläserne Vorderfront, fanden dort wenig von Interesse und verlagerten ihren Raubzug auf Boden, Säulen und Mobiliar. Winter sprang auf die Beine, hastete die Treppe hinauf, die aufgelöste Sushma mit Schreien vor sich hertreibend. Unmittelbar über ihnen schlossen sich die Schotts zum Selene. Eine Wand aus Hitze brandete von hinten heran. Sushma stolperte. Winter boxte sie in den Steiß, und die Inderin drängte sich am Schott vorbei ins nächsthöhere Stockwerk.
Knapp! Himmel, würde das knapp werden!
Wie eine Reckturnerin packte sie den Rand des Schotts und zog sich daran hoch. Einen Moment fürchtete sie, ihr Knöchel werde in der Schleuse eingeklemmt, doch dann schaffte sie es um Millimeterbreite ins Selene, und das Schott rastete mit dumpfem Schlag ein und rettete sie vor der glühenden Walze.
»Die anderen«, keuchte sie. »Um Gottes willen! Die anderen!«
Lawrence lag auf dem Rücken, Kokoschkas wild schlagende Beine über sich, die arhythmisch gegen die Stufen der
Weitere Kostenlose Bücher