Limit
nach unten. Nicht nur, dass es auf diese Weise äußerst schwierig war, hineinzugelangen. Wenn sie nicht aufpassten, würden sie oben schneller, als ihnen lieb war, wieder nach draußen purzeln.
»Sobald ihr auf der Terrasse seid«, sagte Tim, »müsst ihr sofort versuchen, hinter den Fahrstuhl zu gelangen. Er gibt euch Halt. Ach ja, bringt was Langes, Spitzes mit. Ein Messer vielleicht.«
»Wozu?«, ächzte O'Keefe, während er Rogaschowa der helfenden Hand Miranda Winters entgegenbugsierte.
»Um die Kabine zu blockieren, damit sie nicht wieder einfährt.«
»Ich sagte, ich komme zurecht.« Rogaschowa umfasste das Kabinengeländer und zog sich mit verbissener Miene in den Fahrstuhl. »Geh dein Messer suchen, Finn.«
Sie verkrallten sich ins Geländer und warteten. O'Keefe blieb eine Minute verschwunden. Als er schließlich mit einem Eispickel zu ihnen zurückkehrte, trug er einen Batzen Stoff über die Schulter drapiert. Winter ließ die Schotts zufahren und die Luft abpumpen.
Die Kabine erzitterte.
»Nicht schon wieder«, stöhnte Rogaschowa.
»Keine Angst«, beruhigte sie Winter. »Es hört gleich auf.«
»Was haben Sie vor?«, fragte Lawrence.
Endlich hatten sich die Schotts öffnen lassen, waren die Panzerungen zurück in die verborgenen Zwischenräume gekrochen. Aus ihrem Gefängnis befreit, war Lawrence von der Empore über die Brücken hinab in die Lobby gesprungen, während sie ihre nächsten Schritte erwog: die Rettungsaktion abbrechen, die Kallisto kapern, sich davonmachen. Im Laufe der vergangenen eineinhalb Stunden war sie gezwungen gewesen, Vertrauen zurückzugewinnen, indem sie sich Lynn gegenüber einsichtig gegeben hatte, doch damit war jetzt Schluss. Julians verhasste Tochter war allein in der Zentrale. Keine ernst zu nehmende Gegnerin. Der Verlust der Waffe erleichterte ihre Aufgabe nicht unbedingt, aber dann würde sie eben ihre Hände gebrauchen.
»Ich fliege hoch«, sagte Lynn ausdruckslos, ging zurück in den rückwärtigen Raum und schleppte zwei große Boxen mit Raumanzügen nach draußen. Lawrence legte den Kopf schief. Hatte sie Thiel nicht gesehen? Unsinn, sie musste die Deutsche gesehen haben, aber warum wirkte sie dann so unbeeindruckt? Der Anblick hätte sie aus der Bahn werfen müssen, doch Lynn legte eine Gleichgültigkeit an den Tag, als werde sie ferngesteuert. Mit leerem Blick streifte sie ihr Jackett ab und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen.
»Los, Dana, holen Sie sich auch einen Anzug.«
»Wozu?«
»Sie fliegen einen der Hopper. Je mehr wir sind, desto schneller –« Plötzlich hielt sie inne und heftete ihre rot geränderten Augen auf Lawrence. »Sagen Sie mal, sind Sie nicht sogar mit der Kallisto vertraut?«
Lawrence kam langsam näher, bog und spreizte ihre körpereigenen Mordwerkzeuge.
»Ja«, sagte sie gedehnt.
»Gut. Dann machen wir es noch anders. Keine Hoppers.«
Aus den Lautsprechern drang wirre Konversation, hastig hervorgestoßene Sätze. Schweigend umrundete Lawrence die Konsole.
»He, Dana!« Lynn runzelte die Brauen. »Verstehen Sie, was ich sage?«
Sie ging schneller. Lynn legte den Kopf in den Nacken, taxierte sie unter halb geschlossenen Lidern und wich einen Schritt zurück. Ihr Blick belebte sich. Ein kaum wahrnehmbares Flackern verriet Argwohn.
»Sie werden die Kallisto fliegen, hören Sie?«
Klar, dachte Lawrence, allerdings ohne dich.
»Nein, auf keinen Fall!«
Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen, wandte sich um. Hedegaard betrat in Gesellschaft Kramps die Zentrale. Sie war mit ihrem Raumanzug bekleidet, trug ihren Helm unterm Arm und wirkte überaus zerknirscht.
»Tut mir leid, Lynn, Miss Lawrence, unendlich leid, ich war nicht auf dem Posten. Eingeschlafen im Ruhebereich. Karla ist dreimal an mir vorbeigelaufen, aber dann hat sie mich doch gefunden und mir alles erzählt. Ich fliege natürlich den Shuttle.«
Lawrence zwang sich zu einem Lächeln. Mit Lynn und Kramp fertigzuwerden, hätte sie sich zugetraut, doch Nina Hedegaard war durchtrainiert und reaktionsschnell. Im selben Moment stürmte ein schweißgebadeter Mukesh Nair herbei, und die Seifenblase vom schnellen Abgang zerplatzte.
»Karla«, rief er aufgelöst. »Da bist du ja. – Oh, Nina! Miss Lawrence, dem Himmel sei Dank.«
»Unser Vorgehen hat sich geändert«, sagte Lynn. »Nina fliegt mit dem Shuttle hoch.« Sie trat an die Konsole und sagte ins Mikrofon: »Sushma, Eva. Zurück in die Zentrale. Sofort!«
Lawrence verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
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