Limit
übernahm ich im strategischen Management von EMCO die Position des stellvertretenden Leiters. Gleich am ersten Tag flatterte mir eine Pressemeldung auf den Tisch, wonach Orley Enterprises der Durchbruch in der Entwicklung eines Weltraumfahrstuhls gelungen sei. Ich schlug vor, mit Julian Orley über eine Beteiligung an Orley Energy zu verhandeln. Außerdem empfahl ich, Anteile an Warren Locatellis LIGHTYEARS zu erwerben oder besser gleich das ganze Unternehmen zu kaufen. Locatellis Marktführerschaft in der Fotovoltaik ist ja nicht vom Himmel gefallen, 2015 wäre er noch zu jedem Handel bereit gewesen.«
Er sah die Zustimmung in einigen Augen. Keowa nickte.
»Ich weiß, Gerald. Sie haben versucht, den EMCO-Tanker in Richtung erneuerbare Energien zu steuern. Dass Sie mit Ihrer Branche kritisch ins Gericht gehen, ist allgemein bekannt. Ebenso aber auch, dass keiner Ihrer Vorschläge umgesetzt wurde.«
»Bedauerlicherweise nicht. Den alten Exxon-Seilschaften, die EMCO immer noch im Griff hatten, ging es einzig ums Kerngeschäft. Erst als der Ölmarkt einzubrechen begann, als die Hardliner ihren Hut nehmen mussten und der neue Vorstand mich mit der strategischen Leitung betraute, war ich handlungsfähig. Seitdem hat sich EMCO gewandelt. Seit 2020 haben wir alles darangesetzt, die Versäumnisse der Vergangenheit gutzumachen. Wir sind in die Fotovoltaik eingestiegen, in Wind- und Wasserkraft. Vielleicht hat es sich noch nicht überall herumgesprochen, aber wir sehen uns sehr wohl in der Lage, unser Personal in zukunftsstarke Unternehmenszweige umzusiedeln. Nur lässt sich über Nacht nicht reparieren, was jahrzehntelang versäumt wurde.«
Er wusste, was sie ihn als Nächstes fragen würden:
»Ist es überhaupt noch zu reparieren?«
Palstein lehnte sich zurück. Im Grunde konnte er sich die Antwort sparen. Helium-3 etablierte sich als Energieträger der Zukunft, daran gab es nichts zu rütteln. Orleys Fusionsreaktoren arbeiteten zuverlässig rund um die Uhr, die Energie- und Umweltbilanzen fielen positiv aus, der Transport des Elements vom Mond zur Erde stellte kein Problem mehr dar. Palsteins Branche hingegen war wie traumatisiert. Mit allem hatten die Ölkonzerne gerechnet – nur nicht mit dem Ende des Ölzeitalters, ohne dass Öl und Gas knapp geworden waren! Nicht einmal die kühnsten Visionäre von Royal Dutch Shell oder BP hatten sich einen alternativen Energieträger vorstellen können, der ihre Branche so schnell auszutrocknen drohte. Noch vor zehn Jahren hatte UK Energies den Marktanteil alternativer Technologien für das Jahr 2050 auf 30 Prozent geschätzt, Kernkraft mit eingeschlossen. Ebenso war jedem klar gewesen, dass die meisten dieser Technologien zu massenmarkttauglichen Preisen nur von global operierenden Konzernen angeboten werden konnten. Fotovoltaik etwa hatte den Vorzug, ein schnelles Zusatzgeschäft in sonnenreichen Ländern zu ermöglichen, erforderte indes eine logistische Breitwandperformance. Wer sollte dafür infrage kommen außer den Ölmultis, die eigentlich nur für die Steigbügel sorgen mussten, um am Tag X umsatteln zu können?
Dass die meisten Konzerne nicht einmal dazu bereit gewesen waren, verdankte sich den orakelnden Prognosen, wann Öl und Gas denn nun tatsächlich versiegen würden. Unheilspropheten, nach Art der Zeugen Jehovas in ständiger Umdatierung des Weltuntergangs begriffen, hatten das Ende des Ölzeitalters in den Achtzigern für 2010 vorausgesagt, in den Neunzigern für 2030, Anfang des Jahrtausends für 2050, trotz gestiegenen Verbrauchs. Mittlerweile stand fest, dass alleine die Reserven bis 2080 reichen würden, auch wenn das Fördermaximum als überschritten galt, während die Ressourcen eine noch höhere Reichweite versprachen. Nur in einem Punkt hatten sich alle in den Armen gelegen: Billiges Öl würde es nicht mehr geben. Niemals wieder.
Aber es war billig geworden.
So dramatisch billig war es, dass die Branche sich zu fühlen begann wie der Incredible Shrinking Man, für den plötzlich eine simple Hausspinne zur tödlichen Bedrohung wurde. Am besten kam noch weg, wer frühzeitig in erneuerbare Energien investiert hatte. UK Energies war es gelungen, das Ruder herumzureißen, die französische Total-Gruppe hatte sich beizeiten breit genug aufgestellt, um überleben zu können, wenngleich hier wie dort der kollektive Zelltod des Personalabbaus wütete. Wenigstens galt Solartechnologie in Hocheffizienz, wie sie von Locatellis LIGHTYEARS entwickelt worden war,
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