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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Spur nach.«
    »Und was sagt Ihnen Ihr Gefühl?«
    »Über den Täter?«
    »Ja. Gibt es nicht irgendeine Überlegung, die sich aufdrängt?«
    Palstein schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich persönlich kann mir eigentlich nur einen Racheakt vorstellen. Jemand, der verzweifelt ist, seinen Job verloren hat, womöglich alles, und seinen Hass nun auf mich projiziert. Dafür hätte ich Verständnis. Mir ist durchaus bewusst, wo wir stehen. Viele Menschen bangen um ihre Existenz, die uns in besseren Jahren vertraut haben.« Er machte eine Pause. »Aber seien wir ehrlich, die besseren Zeiten brechen gerade erst an. Vielleicht bin ich der falsche Mann, um das zu sagen, doch eine Welt, die ihren Energiebedarf aus umweltschonenden und erneuerbaren Ressourcen decken kann, lässt die Ölwirtschaft archaisch aussehen. Ich kann nur immer wieder betonen, dass wir alles, wirklich alles daransetzen werden, EMCOs Zukunft zu sichern. Und damit die unserer Mitarbeiter!«
     
    Eine Stunde später ruhte sich Gerald Palstein in seiner Suite aus, den rechten Arm unter dem Hinterkopf angewinkelt, die Beine von sich gestreckt, als bereite es sogar zu viel Mühe, sie übereinanderzuschlagen. Hundemüde und ausgebrannt lag er auf der Tagesdecke und starrte hinauf zum Balkenhimmel des Vier-Pfosten-Bettes. Seine Delegation logierte im Sheraton Anchorage, einer der feineren Adressen in dieser nicht eben mit baulichen Heldentaten gesegneten Stadt. Was es an historischer Substanz gegeben hatte, war dem Erdbeben von 1964 zum Opfer gefallen. Dem Good-Friday-Beben, wie sie es nannten. Der heftigste Schluckauf, den Seismologen je auf amerikanischem Grund verzeichnet hatten. Jetzt gab es nur noch ein wirklich schönes Gebäude, und das war ausgerechnet das Krankenhaus.
    Nach einer Weile stand er auf, ging ins Bad, klatschte sich mit der freien Hand kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel. Ein Tropfen hing zitternd an seiner Nasenspitze. Er schnippte ihn weg. Paris, mit der er verheiratet war, erzählte gerne, sie habe sich in seine Augen verliebt, die von verschwiegenem Erdbraun waren, rehhaft groß unter dichten Wimpern, beinahe wie die einer Frau. Eine immerwährende Melancholie lag in diesem Blick. Zu schön, zu intensiv für das freundliche, aber unauffällige Gesicht drum herum. Die Stirn war hoch und glatt, den Hinterkopf umrahmte kurz geschnittenes Haar. Seit Kurzem haftete seinem schmalen Körper etwas Asketisches an, Folge mangelnden Schlafs, unregelmäßiger Ernährung und des Klinikaufenthalts, wo ihm vor vier Wochen die Kugel aus der Schulter entfernt worden war. Palstein wusste, dass er mehr hätte essen sollen, nur dass er kaum Appetit verspürte. Das meiste dessen, was ihm vorgesetzt wurde, ließ er stehen. Ein beunruhigend hartnäckiger Fall von Erschöpfung lähmte ihn, als habe ein Virus von ihm Besitz ergriffen, dem sich mit gelegentlichen Schlafpausen im Flieger nicht mehr beikommen ließ.
    Er trocknete sein Gesicht, verließ das Badezimmer und trat ans Fenster. Eine blasse, kalte Sommersonne überzog das Meer mit gleißenden Schlieren. Im Norden türmten sich die schneebedeckten Gipfel der Alaskakette übereinander. Unweit des Hotels konnte er den ehemaligen Sitz von ConocoPhillips ausmachen. Jetzt prangte dort das EMCO-Logo in trotziger Selbstbehauptung gegen den längst vollzogenen Wandel. Im Gebäude der Peak Oilfield Service Company standen Büroflächen zu vermieten. UK Energies hatte im früheren BP-Hauptquartier einen Ableger ihrer Solar-Division untergebracht und den Rest an ein Touristikunternehmen vermietet, auch hier stand vieles leer. Alles ging den Bach runter. Manche Schriftzüge waren ganz verschwunden, Anadarko Oil etwa, Doyon Drilling und Marathon Oil Company. Das Land drohte seine Stellung als wirtschaftlich erfolgreichster Bundesstaat der USA einzubüßen. Seit den Siebzigern waren über 80 Prozent aller staatlichen Einnahmen aus dem Geschäft mit den fossilen Brennstoffen in den Alaska Permanent Fund geflossen, aus dem sämtliche Einwohner anteilig bedacht wurden. Einkünfte, auf die sie demnächst würden verzichten müssen. Mittelfristig blieben der Region nur ihre Metalle, der Fischfang, Holz und ein bisschen Pelzzucht. Natürlich auch Öl und Gas, aber in sehr begrenztem Umfang, zu Preisen, dass man das Zeug besser in der Erde ließ.
    Die Journalisten und Aktivisten, mit denen er im Verlauf der vergangenen Stunden zu tun gehabt hatte, repräsentierten keineswegs die öffentliche Meinung,

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