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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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dem Fall. Ich machte mir allergrößte Sorgen.«
    »Mister Palstein«, sagte Jericho. »Wie schnell könnten wir den Film bekommen? Jede Sekunde –«
    »Kein Problem. Ich kann Ihnen den Ausschnitt sofort zeigen.« Erneut änderte sich das Bild. Diesmal war der Eingangsbereich eines Gebäudes zu sehen. Jericho glaubte, die heruntergewirtschaftete Fassade wiederzuerkennen: jener leer stehende Firmenkomplex gegenüber der Zentrale von Imperial Oil in Calgary, aus dem, wie es hieß, der Schuss auf Palstein abgefeuert worden war. Menschen spazierten ziellos umher. Zwei Männer und eine Frau traten aus dem Gebäude ins Sonnenlicht. Die Männer gesellten sich zu einem Polizisten und verwickelten ihn in ein Gespräch, die Frau postierte sich abseits. Von links schlurfte eine Gestalt heran, groß und massig, mit langen, schwarzen Haaren.
    Jericho beugte sich vor. Ein Standbild erschien auf dem Monitor, nur Kopf und Schultern. Eindeutig ein Asiate. Eine korpulente, ungepflegte Erscheinung, das Haar fettig, der Bart dünn und zerzaust, doch was ließ sich mit ein bisschen Latex, Schaumstoff und Schminke nicht alles bewerkstelligen?
    Auch Yoyo starrte den Asiaten an.
    »Fast nicht wiederzuerkennen«, flüsterte sie.
    Shaw beobachtete sie aufmerksam. »Sie kennen den Mann?«
    »Allerdings.« Jericho nickte. Dann musste er unvermittelt lachen. »Unglaublich, aber er ist es!«
    Die Maske war einen Oscar wert, doch schlossen die Umstände, unter denen sie ihm begegnet waren, jeden Irrtum aus. Einmal schon war Jericho auf ihn hereingefallen, ein weiteres Mal würde er sich nicht von ihm täuschen lassen, und wenn der Mistkerl sich in Felle hüllte und auf allen vieren ging.
    »Das da«, sagte er, »ist unzweifelhaft der Attentäter von Calgary.«
    Shaw hob die Brauen. »Und haben Sie auch einen Namen?«
    »Ja, aber er wird Ihnen nicht viel nützen«, sagte Yoyo. »Der Typ ist flüchtig wie Gas. Sein Name ist Xin. Kenny Xin.«
     

SINUS IRIDUM, MOND
     
    Nebelland.
    Erst auf dem Mond hatte Chambers erfahren, wie das Fördergebiet unter Astronauten genannt wurde, und den Begriff als kitschig und unzutreffend empfunden. Ihrer Schulbildung zufolge bezeichnete Nebel ein meteorologisches Phänomen, ein Aerosol, und auf dem Mond konnte von Tröpfchenbildung kaum die Rede sein. Sie hatte herumgefragt, ob die Namensgebung einem prätentiösen Huldigungsbedürfnis an Riccioli und seine historischen Missinterpretationen entsprang, doch keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Allgemein wurde über das Gebiet wenig gesprochen. Für den letzten Tag ihres Aufenthalts im Gaia hatte Julian die Vorführung einer Dokumentation angekündigt, ein Besuch der Abbauregion war nicht eingeplant.
    Nun, da es sie hierher verschlagen hatte, reichte ein Blick, um zu verstehen, was nüchtern denkende Menschen veranlasste, den Landstrich zwischen Sinus Iridum und Mare Imbrium Nebelland zu nennen. Von Horizont zu Horizont erstreckte sich eine konturlose, irisierende Barriere, über einen Kilometer hoch und nicht im Mindesten geeignet, Chambers' Laune zu heben. Trostlos lastete sie auf dem Land, Staub gewordene Hoffnungslosigkeit. Niemand, der klaren Verstandes war, konnte den Wunsch verspüren, sie zu durchqueren.
    Doch Hannas Reifenspuren führten mitten hinein.
    Einige hundert Meter war er durch die Schneise gefahren und schließlich in nordöstliche Richtung abgebogen. Julian zufolge bewegte er sich damit auf der imaginären Linie, die Kap Heraclides mit Kap Laplace verband. Der zwiespältigen Hoffnung ergeben, ihr Gegner möge ein Überlebenskünstler und im Zweifel der bessere Pfadfinder sein, hefteten sie sich auf seine Fersen. Amber studierte weiterhin ihre Karten, doch so gute Dienste sie bislang geleistet hatten, erwiesen sie sich hier als nutzlos. Mal nach hundert, meist schon nach zehn Metern endeten alle Blicke im Trüben. Kein Horizont, keine Hügel, keine Ringgebirge mehr, nur Hannas einsame Spur auf seinem Weg ins Ungewisse. Ein Etwas, das sich von Lebensfreude ernährte, schlich aus dem Staub heran, legte sich schwer auf Chambers' Brustkorb und löste das kindliche Verlangen in ihr aus zu weinen. Der Mond war tote Materie, dennoch hatte sie ihn bis jetzt als eigenartig belebt empfunden, wie einen alten und weisen Menschen, einen wunderbaren Methusalem, dessen Falten die Schöpfungsgeschichte konservierten. Doch Geschichte schien an diesem Ort ausgelöscht. Die gewohnt puderige Konsistenz des Regoliths, seine sanften Anhöhen und Miniaturkrater

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