Limit
Wagen steuerte, hätte ebenso gut ein Roboter sein können.
»Helium-3 kannst du nicht fördern wie Öl, Gas oder Kohle«, sagte Julian. »Das Isotop ist atomar im Mondstaub gebunden. Etwa drei Nanogramm pro Gramm Regolith, gleichmäßig verteilt.«
»Nanogramm, warte mal«, sinnierte Chambers. »Das sind Milliardstel Gramm, richtig?«
»So wenig?«, wunderte sich Rogaschow.
»Nicht wirklich wenig«, sagte Julian. »Überlegt mal, das Zeug wurde in Milliarden Jahren durch den Sonnenwind eingelagert. Weit über eine halbe Milliarde Tonnen insgesamt, das Zehnfache aller irdischen Kohle-, Öl- und Gasreserven! Das ist verdammt viel! Nur, um dranzukommen, musst du den Mondboden eben prozessieren.«
So heißt das also, dachte Chambers. Prozessieren. Und heraus kommt eine Krümelwüste. Mit unguten Gefühlen starrte sie in die gleißende Ferne. Weit hinten kroch ein zweiter Käfer durch den Staub, und plötzlich wurde das Terrain wieder hässlich und bröckelig.
»Dennoch eine erstaunlich geringe Sättigung«, beharrte Rogaschow. »Klingt für mich, als müssten erhebliche Mengen Mondboden prozessiert werden. Wie tief graben die Dinger denn?«
»Zwei bis drei Meter. Auch in fünf Metern Tiefe lagert noch Helium-3, aber das meiste holen sie oben raus.«
»Und das reicht?«
»Kommt drauf an, wofür.«
»Ich meine, reicht es, um die Welt mit Helium-3 zu versorgen?«
»Es hat gereicht, um den Markt der fossilen Energien auf der Erde zusammenbrechen zu lassen.«
»Der ist vorauseilend zusammengebrochen. Wie viele Maschinen sind zurzeit im Einsatz?«
»Dreißig. Glaub mir, Oleg, Helium-3 wird unser Energieproblem nachhaltig lösen, der Mond gibt das her. Aber du hast natürlich recht. Wir brauchen bedeutend mehr Maschinen, um das Terrain abgrasen zu können.«
»Abgrasen«, echote Amber. »Klingt eher nach Kuh als nach Käfer.«
»Ja.« Julian lachte etwas gezwungen. »Sie ziehen tatsächlich wie eine Herde über das Land. Wie eine Herde Kühe.«
»Beeindruckend«, sagte Rogaschow, doch Chambers glaubte leise Skepsis mitschwingen zu hören. In konturloser Ferne zeichnete sich der Scherenschnitt eines dritten Käfers ab. Er schien stillzustehen. Chambers gewahrte etwas Flinkes, Kleineres, das sich der Maschine von hinten näherte, augenscheinlich ein Fluggerät, bis in ihr der Verdacht aufkeimte, das Ding eile auf hohen, filigranen Beinen heran, und unwillkürlich kam ihr das Bild einer Spinne in den Sinn. Unterhalb des monströsen Hinterleibs verharrte die Erscheinung, duckte sich und schien vorübergehend mit dem Käfer zu verschmelzen. Chambers starrte neugierig hinüber. Am liebsten hätte sie Julian danach gefragt, doch Omuras Schweigsamkeit lag wie Mehltau auf der Gruppe, also hielt sie den Mund, im Innersten beunruhigt. Das Insektarium dort war keineswegs nach ihrem Geschmack. Nicht dass sie Ressentiments gegen Technologien hegte, sie fuhr gewissenhaft ihr umweltschonendes Stromauto, hatte ihr Anwesen auf Locatellis Solartechnologie umgerüstet und ließ brav ihren Müll trennen, ohne sich deswegen einer ausgeprägt grünen Gesinnung rühmen zu können. Phänomene wie Robotik, Nanotechnologie und Raumfahrt fanden ihr Interesse ebenso wie Wasserfälle, Mammutbäume und vom Aussterben bedrohte pinselohrige Kletteräffchen, deren Fortbestand nicht unbedingt als tragende Struktur des ökologischen Unterbaus gelten konnte. Neue Technologien faszinierten sie, doch etwas in diesem Totenreich verbreitete einen Schrecken, dass selbst Rogaschows wenig zimperliche Industriellennatur Antikörper dagegen zu entwickeln schien.
Hannas Spur beschrieb eine ausgedehnte Kurve. Kolossale Abdrücke ließen vermuten, dass er einer der Fördermaschinen hatte ausweichen müssen. Zu den kraterartigen Spuren gesellten sich solche geringeren Durchmessers, weniger tief. Chambers schaute hinter sich und sah den Käfer wie eine Fata Morgana in seinem Staubkokon flirren. Von dem Spinnending war nichts mehr auszumachen. Sie schloss die Augen, und das Bild der riesigen Maschine leuchtete geisterhaft auf ihrer Netzhaut nach.
Der Käfer fraß.
Unentwegt trieb er sein Schaufelgebiss in den Untergrund, lockerte das Gestein, siebte die unverdaulichen Brocken heraus und leitete, was an feinkörniger Materie verblieb, in sein glühendes Inneres, während riesige Reflektoren oberhalb des Buckels dem Verlauf der Sonne folgten, Photonen bündelten und in kleinere Parabolspiegel schickten. Von dort gelangte das Licht in den kybernetischen
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