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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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waren bröckeliger Gleichförmigkeit gewichen, als sei etwas darüber hinweggeglitten und habe ihn einer gespenstischen Transformation unterzogen. Kurz glaubte sie den Rand eines kleinen Kraters auszumachen, aber noch während sie darauf starrte, verging er im Dunst, eine bloße Sinnestäuschung.
    »Hier ist nichts geblieben, woran du dich orientieren könntest«, sagte Julian zu Amber. »Die Käfer haben die Landschaft nachhaltig verändert.«
    Käfer? Chambers stutzte. Sie konnte sich nicht entsinnen, je etwas von Käfern gehört zu haben, die auf dem Mond ihr Unwesen trieben. Doch was immer sie anstellten, erfüllte in ihren Augen den Tatbestand der Schändung. Ringsum sah es aus, als habe man dem Trabanten Gewalt angetan. Dieses bröckelige Zeug war die Asche eines Toten. In parallelen, flachen Wällen zog es sich dahin, gewaltigen Ackerfurchen gleich, als habe etwas den Boden um- und umgepflügt.
    »Julian, hier sieht's schrecklich aus«, stellte sie fest.
    »Ich weiß. Nicht unbedingt die Traumgegend für Touristen. Menschen kommen überhaupt nur her, wenn es Probleme gibt, denen die Wartungsroboter nicht gewachsen sind.«
    »Und was zum Teufel sind Käfer?«
    »Schau nach vorne.« Julian hob den Arm und deutete voraus. »Das da ist ein Käfer.«
    Sie kniff die Augen zusammen. Zuerst sah sie nur das Flirren des Sonnenlichts auf den Staubpartikeln. Dann, inmitten enigmatischer Grautöne und in kaum zu bestimmender Distanz, wurde eine Silhouette sichtbar, ein Ding von urweltlicher Anmutung. Langsam schob es seinen buckeligen, eigenartig schwerelos wirkenden Leib voran, ließ bizarre Details erahnen, rotierende Fresswerkzeuge unterhalb eines geduckten, abgeplatteten Kopfes, die emsig den Regolith durchwühlten, weit abgespreizte, insektoide Beine. Unablässig gesellte es dem Staub über der Ebene neuen hinzu, den es beim Fressen und Vorwärtsschreiten aufwirbelte. Die mikroskopisch kleinen Schwebstoffe hüllten seinen massigen Körper ein, umgaben kokonartig den Laufapparat. Inzwischen glaubte Chambers zu wissen, was sie da vor sich hatte, nur dass alle Ahnungen unter dem Eindruck verkümmerten, wie unfassbar gewaltig der Käfer war. Je näher sie ihm kamen, desto monströser blähte er sich auf, reckte seinen Buckel, auf dem kolossale, schalenförmige Spiegel blitzten, ein mythisches Untier, hoch wie ein mehrstöckiges Haus.
    Julian hielt geradewegs auf das Ding zu.
    »Momoka, du bleibst hinter mir«, ordnete er an. »Keine Alleingänge. Wenn wir Kurs halten wollen, wird es sich kaum vermeiden lassen, in die Nähe dieser Maschinen zu gelangen. Sie sind träge, aber Trägheit ist relativ, gemessen an der Größe.«
    Die Sicht verschlechterte sich. Als sie ein knappes Stück vor dem Käfer wieder samtigen Regolith unter die Räder bekamen, konturierte sich sein Torso dunkel und bedrohlich am diffusen Himmel. Für seine enorme Höhe war er erstaunlich schmal. Laufapparat und Fresswerkzeuge verschwanden hinter aufgewirbelten Schwaden. Chambers schien es, als schwenke der Gigant unendlich langsam seinen tief liegenden Schädel und schaue ihnen hinterher, während er eines seiner kräftigen, mehrgelenkigen Beine hob und einen Schritt nach vorne machte. Der Rover erzitterte leicht. Sie schrieb es einer Bodenwelle zu, die Omura überfahren haben musste, doch eine innere Gewissheit sagte ihr, es sei im Moment geschehen, als der Käfer seinen Fuß in den Regolith gerammt hatte.
    »Eine Fördermaschine!« Rogaschow drehte sich zu dem entschwindenden Schemen um. »Fantastisch! Wie konntest du mir das so lange vorenthalten?«
    »Wir nennen sie Käfer«, sagte Julian. »Der Form und Fortbewegung halber. Und, tja, sie sind fantastisch. Nur viel zu wenige.«
    »Verwandeln sie den Regolith in dieses – Zeug?«, fragte Chambers, der krümeligen Wüste eingedenk.
    Julian zögerte. »Wie gesagt, sie verändern die Landschaft.«
    »Ich meine ja nur. Ich hatte keine rechte Vorstellung davon, wie die Förderung vonstattengeht. Eigentlich – also, ich glaube, ich habe eher erwartet, so was wie Bohrtürme zu sehen.«
    Im selben Moment schämte sie sich, mit Julian über Tagebauliches zu fachsimpeln, als sei Omura nicht vor einer halben Stunde mit Locatellis deformiertem Leichnam konfrontiert worden. Seit ihrer Abfahrt vom Kap hatte die Japanerin kein einziges Wort gesprochen, fuhr den Rover allerdings mit Umsicht. Auf gespenstische Weise war sie ins Hypothetische entrückt. Das Wesen hinter der reflektierenden Visierscheibe, das den

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