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Limit

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Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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sich hin, während dem Jungen Tränen der Enttäuschung in den Augen standen, dass Mädchen wie Yoyo seinesgleichen immer nur zum Reden missbrauchten. Seine Nase, früh als Vorhut der zögerlich einsetzenden Pubertät unproportional angeschwollen, war immer noch zu groß für das immer noch zu kindliche Gesicht. Seine Haare hätten eine Wäsche vertragen müssen, und natürlich trug er das Zeug, das er jeden Tag trug, ein Mensch, der alles und jeden mehr liebte als sich selbst. Wie sehr hatte Jericho den kleinen Scheißer gehasst, der nicht verstand, warum der erwachsene Mann dort dem Mädchen in seinen Armen, das er nun hätte haben können, keine Liebeserklärungen machte, warum er sie auf einmal nicht mehr begehrte, er hatte sie doch begehrt, oder?
    Hatte er?
    Jericho sah den Jungen dasitzen, fühlte seine lähmende, an ihm nagende Angst, nicht zu genügen, zu versagen, abgewiesen zu werden. Und plötzlich hasste er ihn nicht länger. Schloss stattdessen auch ihn in seine Umarmung mit ein, erteilte ihm Absolution und versicherte ihm, er trüge an nichts, aber auch gar nichts Schuld. Bekundete sein Mitleid. Machte ihn mit der Notwendigkeit vertraut, endgültig aus seinem Leben verschwinden zu müssen, da er rein physisch schon lange verschwunden sei, und versprach ihm, dass sie beide irgendwann Ruhe finden würden.
    Der Junge verblasste.
    Er würde zurückkommen, so viel stand fest, doch in dieser Nacht hatten sie sich versöhnt. Die Welt wurde greifbarer und farbiger. Gegen Morgen, als Yoyo auf seinem Bauch leise schnarchte, melodiös und versöhnlich, hatte er noch keine einzige Sekunde geschlafen und war dennoch kein bisschen müde. Vorsichtig hob er ihren Oberkörper an, glitt vom Sofa und ließ sie wieder zurücksinken. Sie murrte, drehte sich auf die Seite und rollte sich zusammen. Jericho betrachtete sie. Gespannt fragte er sich, wer zum Vorschein kommen würde, wenn sie das Narrengewand des ewigen Teenagers erst einmal abgestreift hätte. Jemand sehr Aufregendes, vermutete er. Und sie würde erwachsen und glücklich werden. Sie wusste es nur noch nicht. Alles würde sie fühlen können, nicht, was sie sollte, nicht, was sie wollte, schlicht, was sie eben fühlte.
    Kurz vor neun. Er nahm sein Handy, ging in den Küchenbereich und setzte einen starken Kaffee auf. Er wusste nun, was er zu tun hatte, und wie sie die Schweine drankriegen konnten.
    Zeit, einen Anruf zu machen.
    »Ich habe über dein Angebot nachgedacht », sagte er.
    »Oh.« Patrice Ho schien überrascht. »Ich hatte nicht damit gerechnet, so früh von dir zu hören.«
    »Manche Entscheidungen fallen eben schnell.«
    »Owen, bevor du was sagst –« Ho druckste herum. »Es tut mir leid, wenn ich mich unziemlich verhalten habe. Ich wollte dich nicht unter Druck setzen, du musst ja glauben, ich bekäme den Hals nicht voll.«
    »Ich will doch schwer hoffen, dass du ihn nicht vollbekommst«, sagte Jericho. »Im Interesse der Ergebnisse. Also werde ich dich weiter in der Pädophilensache unterstützen.«
    »Du wirst –?« Kurze Pause. »Du bist ein Freund! Ein wahrer Freund. Ich bin dir mehr denn je verpflichtet.«
    »Schön. Dann würde ich jetzt gern was von meinem Guthaben abheben.«
    »Und ich werde glücklich sein, dir helfen zu können!«
    »Wart's ab. Es wird dir möglicherweise nicht gefallen.«
    »Davon gehe ich aus«, sagte Ho trocken.
    »Gut, pass auf. In der letzten Augustwoche 2022 fand in Peking, genauer gesagt im Sinopec-Kongresszentrum im Stadtbezirk Chaoyang, eine Zusammenkunft internationaler Ölkonzerne statt. Die Teilnehmerliste lasse ich dir noch zukommen. Am letzten Tag des Gipfels, am Abend des 1. September, trafen sich einige dieser Leute inoffiziell im Bezirk Shunyi. Wer an dem Treffen teilnahm, weiß ich nicht, es scheint aber ein illustrer Kreis gewesen zu sein. Ebenso wenig weiß ich, wo das Treffen stattfand.«
    »Und das soll ich rausfinden. Verstehe.« Ho machte eine Pause. »Das klingt nach Ermittlungsroutine. Was sollte mir daran nicht gefallen?«
    »Der zweite Teil meiner Bitte.«
    »Der da wäre?«
    »Kann ich dir erst sagen, wenn die Antwort auf Teil eins vorliegt.«
    »In Ordnung. Ich kümmere mich drum.«
    Jericho fühlte das Leben in seine Adern zurückfließen. Der Gejagte war zum Jäger geworden! In gespannter Erwartung sichtete er seine E-Mails und sah, dass der Repsol-Mann das komplette Programm des Gipfels geschickt hatte, und tatsächlich: Alle waren in Peking versammelt gewesen, Vertreter nahezu jedes

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