Limit
Pappe.«
»Und du denkst, es wird nie wieder normal werden.«
»Das macht mir Angst, Owen. Vielleicht ist ja alles in Ordnung mit der Welt, und ich bin die Kopie. Vielleicht ist die echte Yoyo ja doch von Xin erschossen worden.«
Jericho starrte auf seine Füße.
»In gewisser Weise ist sie das wohl.«
»Xin hat was gestohlen in jener Nacht.« Sie sah ihn an. »Mitgenommen. Mir weggenommen. Ich kann nicht mehr fühlen, was ich fühlen sollte. Ich bin nicht mal mehr in der Lage, meinem Vater den nötigen Respekt zu erweisen. Nicht mal, bühnenreif zusammenzubrechen.«
»Weil es noch nicht vorbei ist.«
»Ich will es zurückhaben. Ich will wieder ich sein.«
Sie setzte eine weitere Zigarette in Brand. Erneut schwiegen sie eine Weile, verloren in Rauch und Gedanken.
»Wir sind noch nicht aufgewacht, Yoyo.« Er legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. »Das ist unser Problem. Seit drei Tagen rede ich mir ein, dass ich von Hydra nichts mehr wissen will. Nichts von Xin und den ganzen Freaks, die sich auf meinen Augenlidern vergnügen, wenn andere schlafen. Ich möbliere mein Leben mit Krimskrams, versuche es so normal und unspektakulär wie möglich zu gestalten, aber es fühlt sich falsch an. Als sei ich in einem Bühnenbild gelandet –«
»Ja, genau!«
»Und vorhin, nachdem wir telefoniert haben, ist es mir klar geworden. Wir sind immer noch in diesem Albtraum gefangen, Yoyo. Er gaukelt uns vor, wir wären wach, aber wir sind es nicht. Wir sitzen einer Illusion auf. Es ist längst nicht zu Ende.« Er seufzte. »Tatsächlich bin ich besessen von Hydra! Ich muss weiter an dem Fall arbeiten. Den Keller ausmisten, in dem ich seit Jahrzehnten immerzu Scheintote verscharre. Hydra entwickelt sich zum Exempel für mein Leben, für die Frage, wie es weitergehen soll. Ich muss mich diesen Gespenstern stellen, um sie loszuwerden, und wenn es bedeutet, darüber den Mut oder den Verstand zu verlieren, nur, so kann ich, will ich nicht weitermachen. Ich halte es nicht mehr aus, so zu leben, verstehst du? Ich will endlich aufwachen.«
Sonst werden wir für alle Zeit in der Scheinwelt gefangen bleiben, dachte er. Dann werden wir keine richtigen Menschen sein, sondern immer nur die Echos unserer unaufgelösten Vergangenheit.
»Und – hast du weiter an dem Fall gearbeitet? An unserem Fall?«
»Ja.« Jericho nickte. »Während der vergangenen beiden Stunden. Bevor du kamst, wollte ich gerade in Madrid anrufen.«
»In Madrid?«
»Bei einem Ölkonzern namens Repsol.«
Er sah, wie sich ihre Züge belebten, also erzählte er ihr von seinen Nachforschungen, machte sie mit Keowas letzter E-Mail vertraut und ließ sie an seinen Theorien teilhaben. Mit jedem Wort schlängelte sich die Hydra tiefer hinein in das nächtliche Loft, reckte ihre Hälse, richtete ihre fahlgelben Augenpaare auf sie. Im Bemühen, das Ungeheuer loszuwerden, riefen sie es herbei, doch etwas hatte sich geändert. Das Monster kam nicht, um sie aus dem Hinterhalt zu überfallen und sie zu jagen, sondern weil sie es lockten, und erstmals fühlte Jericho sich der Schlange überlegen. Schließlich wählte er die Nummer des spanischen Konzerns.
»Natürlich!«, sagte ein Mann. »Loreena Keowa! Ich habe mehrfach versucht, sie zu erreichen, warum geht sie nicht ran?«
»Sie hatte einen Unfall«, sagte Jericho. »Einen tödlichen Unfall.«
»Wie schrecklich.« Der Mann machte eine Pause. Als er weitersprach, klang leichtes Misstrauen mit. »Und Sie sind –«
»Privatdetektiv. Ich versuche, Miss Keowas Arbeit fortzuführen und die Umstände ihres Todes aufzuklären.«
»Verstehe.«
»Sie hatte Sie um Informationen gebeten, richtig?«
»Ähm – nun ja.«
»Über ein Treffen in Peking, an dem Alejandro Ruiz teilnahm, bevor er verschwand?«
»Ja. Ja, genau.«
»Dieser Spur gehe ich nach. Möglicherweise sind es dieselben Leute, die Ruiz und Keowa auf dem Gewissen haben. Sie würden mir sehr helfen, wenn Sie mir die Informationen zur Verfügung stellten.«
»Nun –« Der andere zögerte. Dann seufzte er. »Sicher, warum nicht. Halten Sie uns auf dem Laufenden? Wir wüssten auch gerne, was mit Ruiz geschehen ist.«
»Selbstverständlich.«
»Also, wir sind hier die Unterlagen durchgegangen. 2022 war Ruiz gerade zum Chef der strategischen Abteilung ernannt worden. Er setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Einige der Ölmultis dachten damals verstärkt über Joint Ventures nach, und so fanden in Peking
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