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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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absetzten.
    Sie entspannte sich. Die grünen Tabletten begannen zu wirken.
    »Ich freu mich riesig auf morgen«, sagte sie herzlich. »Wenn's losgeht. Das wird richtig schön!«
     

23. MAI 2025
    [DIE STATION]
     

ORLEY SPACE STATION OSS,
GEOSTATIONÄRER ORBIT
     
    Evelyn Chambers hatte einen Traum.
    Sie befand sich in einem eigenartigen Zimmer von annähernd vier Metern Höhe und etwas über fünf Metern Tiefe, zudem sechs Meter breit. Die einzige gerade Fläche wurde von der Rückwand gebildet, Decke und Fußboden gingen stark gewölbt ineinander über, was darauf schließen ließ, dass sie sich im Innern einer elliptischen Röhre aufhielt. In deren Enden hatten die Erbauer je ein kreisrundes Schott von gut und gerne zwei Metern Durchmesser eingelassen. Beide Schotts waren verschlossen, ohne dass sie sich deswegen eingesperrt fühlte, im Gegenteil. Es verhieß die Gewissheit, sicher untergebracht zu sein.
    Bei der Einrichtung des Zimmers schienen die Pläne zeitweise auf dem Kopf gestanden zu haben. Mit der Selbstverständlichkeit eines fliegenden Teppichs schwebte ein ausladendes Bett dicht über dem Boden, es gab einen Schreibtisch samt Sitzgelegenheiten, einen Computerarbeitsplatz, ein riesiges Display. Dezentes Licht illuminierte den Raum, eine mattierte Glastür verbarg Dusche, Waschbecken und WC. Das Ganze ließ an eine futuristisch gestaltete Schiffskabine denken, nur dass die bequemen, rot gepolsterten Chaiselongues unter der Decke hingen – und zwar verkehrt herum.
    Am bemerkenswertesten jedoch war, dass Evelyn Chambers alle diese Eindrücke empfing, ohne auch nur mit einer Zelle ihres Körpers Kontakt zum Raum oder zu seinen Einrichtungsgegenständen zu haben. Nackt, wie sie das erlesene Zusammenspiel spanischer, indianischer und nordamerikanischer Gene geschaffen hatte, von nichts anderem umschmeichelt als frischer, auf wohlige 21 °C temperierter Luft, schwebte sie über der gewölbten, drei Meter langen Panoramascheibe der Vorderfront und betrachtete einen Sternenhimmel von solch unfassbarer Klarheit und Fülle, dass es sich nur um einen Traum handeln konnte. Knapp 36.000 Kilometer unter ihr schimmerte die Erde, das Werk eines Impressionisten.
    Es musste ein Traum sein.
    Doch Chambers träumte nicht.
    Seit ihrer Ankunft am Vortag konnte sie nicht genug bekommen von ihrer fernen Heimat. Nichts verstellte den Blick, kein hereinragender Gittermast, keine Antenne, kein Modul, nicht einmal die zum Nadir entfliehenden Seile des Weltraumaufzugs. Leise sagte sie: »Licht aus«, und die Beleuchtung erlosch. Zwar gab es eine manuelle Fernbedienung zur Steuerung der Service-Systeme, doch um nichts in der Welt wollte sie das Risiko eingehen, ihre perfekte Position zu verändern, indem sie mit so einem Ding herumfuchtelte. Nach fünfzehn Stunden an Bord der OSS hatte sie langsam begonnen, sich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen, wenngleich der Verlust von oben und unten sie nachhaltig irritierte. Umso mehr überraschte es sie, nicht Opfer der berüchtigten Raumkrankheit geworden zu sein wie Olympiada Rogaschowa, die festgeschnallt auf ihrem Bett lag und wimmernd wünschte, nie geboren worden zu sein. Chambers hingegen fühlte pure Glückseligkeit, die Hochpotenz dessen, was sie in Erinnerung an Kindheitsmomente ihr Weihnachtsplätzchengefühl nannte, reine Freude zur Droge destilliert.
    Sie wagte kaum zu atmen.
    Still über einem Punkt zu verharren, war gar nicht so einfach, stellte sie fest. Unwillkürlich nahm man in der Schwerelosigkeit eine Art Fötalhaltung an, Chambers aber hatte die Beine gestreckt und die Arme vor der Brust gekreuzt wie ein Taucher, der über einem Riff trieb. Jede hastige Bewegung konnte zur Folge haben, dass sie sich zu drehen begann oder von der Scheibe weggetragen wurde. Jetzt, wo alles Licht erloschen und der Raum samt seiner Einrichtung in die Quasiexistenz entrückt war, wollte sie mit jeder Zelle ihres kortikalen Schaltwerks die Illusion auskosten, es sei gar keine schützende Hülle um sie herum vorhanden, dass sie vielmehr wie Kubricks Sternenkind allein und nackt über diesem wunderschönen Planeten schwebte. Und plötzlich sah sie winzige, schimmernde Kügelchen davontrudeln und begriff, dass es ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte.
    Hatte sie sich das Ganze so vorgestellt? Hatte sie sich überhaupt irgendetwas vorstellen können vor 24 Stunden, als der Helikopter über der Plattform im Meer niedergegangen war und die Reisenden
     
    aussteigen, während die Nacht

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