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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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keinen Bissen mehr herunterzukriegen, als sich Sekunden zu Ewigkeiten dehnen und alles um sie herum – Licht, Farben, Düfte, Musik – Schockwellen der Bedrohung aussenden, als jedes Hausdach, jedes Geländer, jede Brücke sie einladen, ihrem Absturz den Aufprall folgen zu lassen, als sie fürchtet, wahnsinnig zu werden wie Crystal, Amok zu laufen, Menschen zu töten, macht er ihr klar, dass kein Dämon von ihr Besitz ergriffen hat, dass keine Ungeheuer sie verfolgen, dass sie niemandem, auch sich nicht, etwas antun wird, und ganz allmählich beginnt sie ihm zu glauben.
    Es wird besser, und Tim nervt. Drängt sie, endlich professionelle Hilfe anzunehmen, sich auf die Couch zu legen. Lynn weigert sich, spielt den Albtraum herunter. Ursachenforschung? Wozu? Nicht im Mindesten ist sie bereit, dieser elenden Phase ihres sonst so perfekten Lebens Respekt zu erweisen. Ihre Nerven haben verrückt gespielt, Überarbeitung, Synapsensalat, biochemischer Kuddelmuddel, was auch immer. Grund, sich zu schämen, nicht tiefer zu buddeln in dem Graben, aus dem sie die Karre mit vereinten Kräften gezogen haben. Warum sollte sie? Um was zu finden? Sie kann froh und dankbar sein, dass der Konzern ein Tarnnetz der Erklärungen über sie gebreitet hat: Grippe, ganz schlimme Grippe, Lungenentzündung, jetzt, wo sie wieder lächelt und Hände schüttelt. Die Krise ist ausgestanden, die kaputte Puppe repariert. Wieder sieht sie sich, wie Julian sie sieht, eine Perspektive, die ihr vorübergehend abhandengekommen ist. Wen interessiert es, ob sie sich selber mag? Julian liebt sie! Sich durch seine Augen zu sehen, löst alle Probleme. Die schale Vertrautheit der Selbstentwertung, wunderbar lässt es sich damit leben.
     
    »– liegen die Speise- und Aufenthaltsräume für den wissenschaftlichen Betrieb«, hörte sie sich sagen.
    Sie arbeitete sich weiter das Hologramm hinauf, von Torus-3 zu den Sportanlagen in Torus-4, zu Dutzenden Wohn- und Labormodulen, die Julian an private und staatliche Forschungseinrichtungen aus aller Welt vermietet hatte, NASA, ESA und Roskosmos, seine eigenen Tochterunternehmen Orley Space, Orley Travel und Orley energy. Mit glühenden Wangen verwies sie auf die Gemüsegärten und Nutztierzuchten in den kugelförmigen Biosphären oberhalb von Torus-4, gewährte Einblick in die Observatorien, Werkstätten, Kontroll- und Besprechungsräume des abschließenden fünften Torus, aus dessen Mitte die Seile des Fahrstuhls wieder heraus – und in die Unendlichkeit führten respektive das, was der Momentbewohner Mensch dafür hielt. Sie ergötzte sich und die anderen an der Hunderte Meter durchmessenden Scheibenwelt des Dachs mit ihren Werften, in denen Mondshuttles gewartet und interplanetare Raumschiffe gebaut wurden, Roboter in emsiger Geschäftigkeit das Vakuum durcheilten und Solarpaneele Sonnenlicht atmeten, damit die Station während der Stunden im Erdschatten vom Eingemachten zehren konnte. Lachend am Abgrund präsentierte sie die OSS, die Orley Space Station, deren Erbauer und Eigner die NASA so gerne gewesen wäre. Doch ein solches Vorhaben hätten Politiker zu verantworten gehabt, ihrer Natur nach periodische und damit flüchtige Erscheinungen, deren Selbstbild vornehmlich davon geprägt war, die Visionen und Zusagen ihrer Vorgänger infrage zu stellen. So hatte letztlich ein Privatinvestor den Traum von der Besiedelung des Weltraums weitergeträumt und ganz nebenbei die Voraussetzungen für eine erdrutschartige Veränderung im Energiesektor geschaffen, was die Frage aufwarf,
     
    »wessen Interessen wir eigentlich subventionieren, wenn wir uns entscheiden, bei Orley Enterprises einzusteigen.«
    »Na, vorzugsweise ja wohl unsere«, sagte Locatelli. »Oder?«
    »Ganz Ihrer Meinung«, erwiderte Rogaschow. »Ich wüsste nur gerne, wen ich sonst noch damit begünstige.«
    »Solange es LIGHTYEARS die Marktführerschaft sichert, gehen mir die Interessen irgendwelcher Mitverdiener am Arsch vorbei, wenn ich das in geostationärer Abgeschiedenheit mal so frei äußern darf.«
    »Ryba ischtschet gde glubshe, a tschelowek gde lutsche.« Rogaschow lächelte dünn. »Der Fisch sucht die tiefste Stelle, der Mensch die beste. Ich für meinen Teil würde etwas mehr Überblick bevorzugen.«
    Locatelli schnaubte. »Den gewinnen Sie aber nicht, indem Sie sich alles von außen anschauen. Die Perspektive ergibt sich aus der Position.«
    »Welche da wäre?«
    »Die meines Unternehmens, was mich betrifft. Ich weiß, Sie haben Schiss,

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