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Limit

Limit

Titel: Limit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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schnell in der Schwerelosigkeit, wenn man es drauf anlegte. Auf ihrem Weg passierte sie durchnummerierte Schleusen, dahinter Suiten ähnlich der ihren. Jeweils fünf Module bildeten eine Einheit, aufgeteilt in je zwei Wohneinheiten und so zueinander versetzt, dass alle Bewohner einen unverstellten Blick auf die Erde genossen. Rechter Hand zweigte die Verbindung zum Torus ab, Chambers aber gedachte zu frühstücken und folgte weiter dem Verlauf des Tunnels. Er mündete ins Kirk, eines der beiden spektakulärsten Module der OSS. Diskusförmig stachen sie weit über die Wohnbereiche heraus, sodass man durch den verglasten Boden die Erde sehen konnte. Das Kirk diente als Restaurant, sein nordwärts gelegenes Pendant, sinnigerweise auf den Namen Picard getauft, alternierte zwischen Lounge, Nightclub und Multimediazentrum.
    »Die Verglasung ging an die Grenze des Machbaren«, wurde Julian nicht müde zu betonen. »Ein Kampf! Das Gejammer der Konstrukteure klingt mir noch heute in den Ohren. Na und, hab ich gesagt? Seit wann scheren uns Grenzen? Astronauten haben sich immer Fenster gewünscht, schöne große Panoramafenster, nur dass die fliegenden Sardinendosen der Vergangenheit nicht die erforderlichen Wandstärken boten. Mit dem Fahrstuhl hat sich das Problem erledigt. Wir brauchen Masse? Hoch damit. Wir wollen Fenster? Bauen wir welche ein.« Und dann, wie jedes Mal, senkte er die Stimme und flüsterte beinahe ehrfürchtig: »Es so zu bauen, war Lynns Idee. Großartiges Mädchen. Sie hat den Rock 'n' Roll! Ich sag's euch.«
    Die Verbindungsluke zum Kirk stand offen. Zu spät entsann sich Chambers der Tücken ihrer neu gewonnenen Freiheit, grabschte nach dem Rahmen der Schleuse, um ihren Flug abzubremsen, verfehlte ihn und schoss zappelnd hindurch, knapp an einem nicht sonderlich erschrockenen Kellner vorbei. Jemand bekam ihr Fußgelenk zu fassen.
    »Willst du auf eigene Faust zum Mond fliegen?«, hörte sie eine vertraute Stimme.
    Chambers stutzte. Der Mann zog sie auf Augenhöhe zu sich herunter.
    Seine Augen –
    Natürlich kannte sie ihn. Jeder kannte ihn. Mindestens ein Dutzend Mal hatte er in ihrer Show gesessen, dennoch konnte sie sich bis heute nicht an diese Augen gewöhnen.
    »Was machst du denn hier?«, rief sie verblüfft.
    »Ich bin das Abendprogramm.« Er grinste. »Und du?«
    »Stimmungsaufheller für Raumfahrtmuffel. Julian und die Medien, du weißt schon.« Sie schüttelte den Kopf und lachte. »Unglaublich. Hat dich schon jemand gesehen?«
    »Noch nicht. Finn ist dabei, hörte ich.«
    »Ja, er war angemessen konsterniert, mir hier zu begegnen. Inzwischen ist er ganz zutraulich geworden.«
    »Keine Pose ist auch eine Pose. Finn gefällt sich in der Rolle des Außenseiters. Je weniger du ihn fragst, desto mehr wird er antworten. Willst du frühstücken?«
    »Gerne.«
    »Prima, ich auch. Und danach?«
    »Multimediazentrum. Lynn gibt uns eine Einführung in die Station. Sie haben uns aufgeteilt. Einige lassen sich den wissenschaftlichen Bereich erklären, die anderen gehen nach draußen zum Spielen.«
    »Du nicht?«
    »Doch, später. Sie können nur sechs Leute auf einmal mit rausnehmen. Hast du Lust, mitzukommen?«
    »Lust ja, aber keine Zeit. Wir drehen ein Video in Torus-4.«
    »Oh, du machst was Neues? Im Ernst?«
    »Nicht weitersagen«, lächelte er und legte einen Finger an die Lippen. Seine Augen entführten sie in eine andere Galaxis. Der Mann, der vom Himmel gefallen war. »Einer muss den Seniorenmarkt ja bedienen.«
     
    Lynn lächelte, beantwortete Fragen, lächelte.
    Sie war stolz auf den Multimediaraum, so wie sie einen fiebrigen Stolz auf das gesamte OSS Grand empfand, auf das Stellar Island Hotel und das ferne Gaia. Zugleich machten ihr alle drei schreckliche Angst, als habe sie ein Venedig auf Streichholzfundamenten errichtet. Kaum noch vermochte sie in ihrem Wirken etwas anderes zu erkennen als dessen Anfälligkeit. Bis zur Erschöpfung arbeitete sie sich an Schreckensszenarien ab, ohne Hoffnung auf Katharsis, solange ihre schlimmsten Befürchtungen ausblieben. Eindeutig saß sie in der Falle, versuchte sich k.o. zu hauen, verfolgte sich, indem sie vor sich selbst davonlief. Je mehr Argumente sie ihren Ängsten entgegenhielt, desto monströser blähten sie sich auf, als nähre sie ein Schwarzes Loch.
    Ich werde noch den Verstand verlieren, dachte sie. Genau wie Mom. Ganz sicher werde ich durchdrehen.
    Lächeln. Lächeln.
    »Viele sehen in der OSS einen Pilz«, sagte sie. »Oder einen

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