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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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für Den in Transnistrien kennengelernt.
    Machen wir einen kurzen Abstecher in die Transnistrische Moldauische Republik: Wir finden das gleiche Szenario wie bei den verschiedenen serbischen Republiken Ex-Jugoslawiens. Moldawien war einst ein Teil des östlichen Rumäniens gewesen und von der Sowjetunion annektiert worden. Die Moldauer sind so bettelarm, dass sie davon träumen, wieder Rumänen zu werden, und das will was heißen. Als die Sowjetunion zusammenbrach, erklärten sie ihre Unabhängigkeit – zum großen Leidwesen der Russen, die auf ihrem Gebiet leben. Denn diese Russen, die eine Art Siedler waren und zur Oberschicht gehörten, wurden zur Zielscheibe der Schikanen und Repressalien des neuen Staats unter rumänischer Hegemonie. Also gründeten sie ihrerseits eine autonome Republik (nämlich Transnistrien) und griffen zu den Waffen, um diese zu verteidigen. Eduard, der vorbehaltlos mit ihrer Sache sympathisiert und nicht einen der Kriege verpassen will, die sich auf den Trümmern des Imperiums nacheinander entfachen, war von seinem dortigen Aufenthalt schwer begeistert. Er nahm an einer Strafexpedition gegen Rumänen teil, lief unter dem Kugelhagel eines Heckenschützen über einen in Trümmern liegenden Häuserblock und rannte zwischen minengespickten Feldern umher. Und vor allem lernte er den Major Kostenko kennen, dessen Geschichte er nun seinem Tischnachbarn erzählt, einem Bärtigen, der ihm unter dem Namen Alexander Dugin vorgestellt wird.
    Als Ex-Kommandant einer Fallschirmjägereinheit in Afghanistan und nach der Eröffnung einer Autowerkstatt in Moldawien war Kostenko im herrschenden Chaos ein Kriegsherr geworden und der unangefochtene Gebieter über seine kleine Stadt. Ein Ukrainer wie Eduard, aber im Fernen Osten geboren, wo sein Vater stationiert war, sah er aus wie ein Chinese und stand im Ruf von asiatischer Grausamkeit. Eine Aura des Schreckens umgab ihn. Umgeben von Leibwachen, die bis an die Zähne bewaffnet waren, und einer Blondine in Minirock und Sonnenbrille sprach er in seiner Werkstatt Recht. Eduard sah ihn einen dicken, schwitzenden Typen zum Tode verurteilen, weil er diesen verdächtigte, ein Verräter im Sold der Rumänen zu sein. Eduard hatte diese Entschiedenheit seinerzeit gewürdigt, und sein Gesprächspartner Dugin pflichtet ihm jetzt bei.
    Kostenko und Eduard verbrachten mehrere Nächte zusammen in Gesprächen. Der Major erzählte ihm von seinem abenteuerlichen Leben und sagte diesem sein nahes Ende voraus: Seine Feinde würden ihn früher oder später kriegen, er habe keinen Ort, wohin er flüchten könne, und wozu auch? Wenn man über eine Stadt regiert habe, würde man nicht wieder zum Automechaniker. Je deutlicher die Geschichte eine tödliche Wendung nimmt, desto interessierter hört Dugin zu. »Er hat sich Ihnen anvertraut, weil er fest damit rechnete zu sterben«, sagt er zu Eduard. »Damit von seinem dunklen, gewaltsamen Schicksal eine Spur bleibt.« Eduard stimmt zu, er sieht sich durchaus gern als ein Régis Debray dieses Che Guevaras der Grenzen, und er ist ein wenig überrascht, dass sein Gesprächspartner weiß, wer Régis Debray ist.
    Dugin scheint überhaupt alles zu wissen. Er ist Philosoph, mit nur fünfunddreißig Jahren Autor von einem halben Dutzend Büchern, und es ist ein wahres Vergnügen, mit ihm zu diskutieren. Eduard und er verstehen sich auch ohne viele Worte; wenn der eine einen Satz beginnt, könnte der andere ihn beenden. Feierlich trinken sie auf das Andenken Kostenkos, und bei der nächsten Runde schlägt Dugin vor, auf das des Barons Ungern von Sternberg zu trinken. Eduard hat nichts dagegen, nur weiß er nicht, wer das ist. »Sie wissen nicht, wer das ist?« Dugin tut überrascht – in Wirklichkeit ist er froh darüber, so wie man es sein kann, wenn einer Krieg und Frieden noch nicht kennt. Er ist froh, dass jetzt die Reihe an ihm ist, denn ein Kostenko ist ja gut und schön, aber er hat einen Super-Kostenko auf Lager, eine Geschichte der besonderen Art, von der er weiß, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen wird.
    Im Jahr 1918 führte der Baron Ungern von Sternberg, ein lettischer Aristokrat und leidenschaftlicher Anti-Bolschewik, seine Division bis in die Mongolei, um an der Seite der Weißgardisten zu kämpfen. Er machte sich durch seinen starken Einfluss auf seine Männer, seine Tapferkeit und seine Grausamkeit einen Namen. Ungern von Sternberg bezeichnete sich als Anhänger des Buddhismus, aber eines Buddhismus, der einen Sinn für

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