Limonow (German Edition)
nachbarschaftlichen Abendessen kommen soll. Jean-Edern liebt es, die Leute damit zu schockieren, dass er ihnen Le Pen zum Essen ankündigt, und er versucht es auch bei Eduard, doch den schockiert es kein bisschen – zudem wird man Le Pen auch dieses Mal umsonst erwarten. Am Fischteich macht Jean-Edern einen Skandal, weil man ihm verbieten will, an einer Stelle zu parken, die für Fischer reserviert ist. Er rudert mit den Armen und brüllt, dieses Verbot sei eine Beleidigung der französischen Literatur, der Republik und Victor Hugos. Eduard hat den etwas traurigen Eindruck, dass Jean-Edern sich zwingen muss, auf der Höhe seines Rufs zu bleiben. Wenn er nur eine Minute mit seinem Zirkus aufhören würde, müsste er sterben. Beim Abendessen jedoch kommt er voll in Fahrt und bringt seinen Hofstaat von in Chouchen marinierten Niederbretonen dazu, sich vor Lachen zu krümmen, als er von seinem Auftritt bei der Sendung Trente millions d’amis (Dreißig Millionen Freunde) erzählt. Unter dem Vorwand, er habe einen Hund, er liebe seinen Hund und er habe all seine Bücher mit dem Hund zu seinen Füßen geschrieben, hatte er sich in diese Tiersendung einladen lassen. An all dem ist nichts dran, er hat nie einen Hund besessen, aber er ist zu allem bereit, um ins Fernsehen zu kommen, also borgt er sich einen aus. Er hält ihn auf dem Schoß, streichelt ihn und spielt das freundliche Herrchen, doch der Hund, der ihn nicht kennt, dreht durch, und je mehr der eine gerührt von seinem treuen, vierbeinigen Begleiter erzählt, desto mehr knurrt der andere, wehrt und windet sich, um zu entwischen, und schließlich beißt er seinen »Herrn«. Jean-Edern spielt sich selbst, spielt den Hund und imitiert den Kampf: Die Nummer ist äußerst gelungen.
Am nächsten Tag heitert es auf, und sie gehen an den Strand. Eduard badet. Trotz seiner mehr als schlechten Sehkraft sagt Jean-Edern bewundernd zu Natascha: »Alle Achtung, dein Typ ist aber ganz schön gut gebaut.« Und als Eduard aus dem Wasser kommt und zu ihnen zurückkehrt, fragt er ihn: »Was machst du noch mal in Russland?«
»In Russland?«, antwortet Eduard, während er den Sand aus seinem Handtuch schüttelt. »Ich bereite mich vor, die Macht zu ergreifen. Ich glaube, jetzt ist der richtige Moment.«
5
Wer behauptet, man könne in Moskau inzwischen alles finden, irrt sich. Man findet zwar Gänseleber soviel man will und auch einen dazu passenden Château Yquem, aber niemand denkt daran, Maggibrühe und Haushaltsschokolade zu importieren, Wa ren, die keinen der Neuen Russen interessieren, aber die Basis von Eduards Speiseplan darstellen. Bei jeder seiner Reisen nimmt er sich einen ordentlichen Vorrat mit, und mit einer Schale Würfelbrühe hat er sich an jenem Tag im September 1993 vor den Fernseher gesetzt, als Jelzin mit ernster Miene dem Land verkündet, er löse die Duma auf und setze Neuwahlen an.
Damit war zu rechnen. Wenn das Parlament einem feindlich gesinnt ist, was zutrifft, dann ist seine Auflösung ein klassischer Schachzug in der Politik. Alles oder nichts: Läuft es auf nichts hinaus, wird man es bitter bereuen, aber in einer Demokratie wird man sich damit abfinden. Nun ist im Fall des Demokraten Jelzin allerdings nicht garantiert, dass er die Dinge auf diese Weise sieht und beabsichtigt, sich damit abzufinden, sollten ihm die Neuwahlen nicht eine folgsamere Nationalversammlung bescheren. Jedenfalls hat Jelzin noch nicht zu Ende gesprochen, da klingelt bei den Freunden, die Eduard gerade beherbergen, das Telefon. Es ist Alksnis, »der schwarze Oberst«, und er sagt, es ginge heiß her. Die Patrioten sammelten sich am Weißen Haus. Eduard kippt seine Brühe hinunter, und schon ist er auf dem Weg.
Es sind schon einige Tausend Patrioten, die sich vor dem Ge bäude versammelt haben, das noch zwei Jahre das Symbol von Jelzins Triumph und jenem der »Demokraten« gewesen war. Wer sin d diese »Patrioten«? Im Allgemeinen diejenigen, die man einige Seiten vorher auf den Straßen von Moskau ihre Wut hinausschreien hörte. Einen Teil von ihnen, nicht alle, würden wir Faschisten nennen. Aber diese heutigen Faschisten spielen sich als Hüter der rechtsstaatlichen Ordnung auf, und wenn sie die Demokraten beschuldigen, zur Verteidigung ihrer Demokratie, die keiner wolle, bereit zu sein, eine Diktatur zu errichten, muss man ihnen irgendwie recht geben. Fügen wir zur Vervollständigung des Bildes noch hinzu, dass die zwei Männer, die die Rebellion gegen Jelzin anführen,
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