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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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die raffiniertesten Foltermethoden einschloss. Er hatte ein ausgemergeltes Gesicht, einen langen, dünnen Schnurrbart und sehr wässrige Augen. Die mongolischen Reiter hielten ihn für ein übernatürliches Wesen, und selbst seine weißen Verbündeten begannen Angst vor ihm zu haben. Er sonderte sich von ihnen ab und drang am Kopf seiner Schwadron in die Steppen vor, und diese wurde fernab von allem zu einer Sekte von Erleuchteten und folgte nur noch seinem Gesetz. Berauscht von Macht und Gewalt fiel er schließlich in die Hände der Rotarmisten, und diese erhängten ihn. Ich mache es kurz, doch Dugin macht es nicht kurz. Dieser Figur, die einem Aguirre von Werner Herzog oder einem Kurtz aus Joseph Conrads Herz der Finsternis vergleichbar ist, haucht er mit vollendetem Können Leben ein. Die Geschichte ist eines von Dugins Bravourstücken, und er nimmt sich Zeit, um sie im Detail auszuarbeiten, hier und da Effekte einzusetzen und die Nuancen mit tiefer, klangvoller Stimme auszuspielen. Denn dieser Akademiker, dieser Mann des Schreibtischs, der Bücher und der Theorie ist gleichzeitig ein orientalischer Erzähler, der fähig ist, seine Zuhörerschaft zu betören, und Eduard, der gewöhnlich für Intellektuelle nur Verachtung empfindet, steht in seinem Bann. Er wäre begeistert, wenn jemand eines Tages sein Leben auf eine solche Weise erzählen würde.
    In den folgenden Tagen weichen sie nicht mehr voneinander und sprechen so viel, dass sie kaum Luft holen können. Dugin erklärt sich ungeniert für einen Faschisten, aber er ist ein Faschist, wie Eduard nie zuvor einen getroffen hat. Was er bisher unter diesem Etikett kannte, waren Pariser Dandys, die ein bisschen Drieu La Rochelle gelesen hatten und daher glaubten, Faschist zu sein sei schick und dekadent, oder aber Brutalos wie der Gastgeber ihres Festmahls General Prochanow, bei dem man sich wirklich zwingen muss, seiner Rede zu folgen, die aus nichts als paranoischen Vorstellungen und antisemitischen Witzen besteht. Eduard hatte nicht geahnt, dass es neben kleinen Blödmännern, die sich aufspielen, und großen Blödmännern, die wirkliche Schweine sind, noch einen dritten Typus des Faschisten gibt, eine Sorte, von der ich in meiner Jugend ein paar kennengelernt habe: intellektuelle Faschisten, meist fiebrige, bleiche, hochgebildete Jungs, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlten und mit ihren dicken Aktentaschen kleine esoterische Buchhandlungen frequentierten und wirre Theorien über die Templer, Eurasien oder die Rosenkreuzer entwickelten. Oft konvertierten sie am Ende zum Islam. Dugin ist einer von dieser Sorte, nur ist er kein schwächlicher Junge, der sich in seiner Haut nicht wohl fühlt, sondern ein Menschenfresser. Groß, bärtig und dicht behaart geht er leichten Schrittes wie ein Tänzer und hat eine komische Art, sich auf ein Bein zu stellen und das andere dabei nach hinten zu stemmen. Er spricht fünfzehn Sprachen, hat alles gelesen, trinkt alles ex und lacht offenherzig: Er ist ein Ausbund an Wissenschaft und Charme. Eduard bewundert weiß Gott nicht leicht irgendjemanden, aber diesen Mann, der fünfzehn Jahre jünger ist als er, bewundert er, und er geht bei ihm in die Schule.
    Eduards politisches Denken war verworren und oberflächlich. Unter Dugins Einfluss wird es noch verworrener, aber ein bisschen weniger oberflächlich. Nun schmückt es sich mit Verweisen. Weit davon entfernt, Faschismus und Kommunismus einander entgegenzustellen, hält Dugin beide in Ehren. Zu seinem Pantheon hat eine bunte Mischung an Persönlichkeiten Zutritt: Lenin, Mussolini, Hitler, Leni Riefenstahl, Majakowski, Julius Evola, Jung, Mishima, Groddeck, Jünger, Meister Eckart, Andreas Baader, Wagner, Laotse, Che Guevara, Sri Aurobindo, Rosa Luxemburg, Georges Dumézil und Guy Debord. Um zu sehen, wie weit man gehen kann, schlägt Eduard vor, auch noch Charles Manson aufzunehmen: Kein Problem, man rückt ein bisschen zusammen und macht ihm Platz. Deine Freunde sind auch meine Freunde. Rot, weiß, braun, ganz egal: Das Einzige, was zählt, da hatte Nietzsche ganz recht, ist der Lebenswille. Ziemlich schnell stimmen Eduard und Dugin überein, dass ihre Genossen in der Opposition einigermaßen beschränkt sind. Allenfalls Alksnis kann man noch mögen, aber die anderen … Vor allem entdecken sie, dass sie einander ergänzen. Der Mann des Denkens und der Mann der Tat. Der Brahmane und der Krieger. Merlin, der Zauberer, und der König Arthur. Zusammen werden sie Großes

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