Limonow (German Edition)
einen Herzinfarkt, den man so gut es ging kaschierte), muss Limonow den Nazboly endlich erklären, für wen sie stimmen sollen, und er überrascht seine Welt mit einer Theorie, die besagt: Je mehr man sich ins Chaos stürzt, desto besser ist es für die Revolution. Also Jelzin. Diese Spitzfindigkeit wird man ihm später vorwerfen; sie lässt ein Gerücht entstehen, demzufolge er hinter der Fassade des Provokateurs ein vom Kreml bezahlter Agent sei; und Limonow wird aus dieser Episode schlussfolgern, dass man sich in der Politik vor Paradoxen hüten sollte. Die Massen verstehen nichts davon, Mein Kampf ist, was das betrifft, sehr klar.
Tatsächlich hat man im Moment den allgemeinen Eindruck, dass Limonow durchdreht, und er dreht wirklich durch, denn Natascha hat ihn gerade verlassen.
Ich weiß nicht viel über die Gründe und Umstände dieses Bruchs, denn Eduards Schriften aus dieser Zeit sind deutlich weniger intim als die seiner Jugend, auf jeden Fall scheint er in ähnlich exzessiver Weise darauf reagiert zu haben wie damals auf Elenas Weggang. Ein einigermaßen wahnsinniger, in der Hitze des Gefechts geschriebener Text gibt dem Ende ihrer dreizehn Jahre gemeinsamen Lebens eine »philosophische und mystische« Deutung, in der sich der Einfluss von Dugin bemerkbar macht, der zu diesem Zeitpunkt das Schiff noch nicht verlassen hat. Eduard berichtet darin von beunruhigenden Zufällen, warnenden Träumen, halluzinierten Irrfahrten und sogar von einer für ihn, der so prosaisch und ein so undankbarer Leser von Meister und Margarita ist, sehr wenig überzeugenden Begegnung mit dem Teufel in den Straßen von Moskau. Er konsultiert eine Weissagerin, und sie sagt ihm, in einem früheren Leben sei er ein teutonischer Ritter gewesen und Natascha eine Prostituierte, die er beschützte. Diese Auslegung erscheint ihm sehr hellsichtig. In der Tat beschützte er sie wie ein ritterlicher Recke. Er war ihr treu und loyal, wie auch schon Elena, und wie Elena hat Natascha ihn verraten. Er versucht sich einzureden, sie sei seiner nicht wert gewesen, und ermahnt sich zur Verachtung, aber während er bis zur Erschöpfung im stickigen Moskauer Sommer herumläuft, kann er nicht verhindern, dass er sich immer wieder wie eine Litanei eine Beschreibung ihres Körpers aufsagt: ihre großen, biegsamen, weil geschmeidigen Hände, ihre weißen, ein wenig herabhängenden Brüste, ihre immerzu feuchte, immer für seinen Schwanz und leider auch den anderer bereite Möse. Sie erregte ihn wie keine andere Frau in seinem Leben außer Elena. Er denkt an ihre Art, wie sie verträumt, ohne das Rauchen zu unterbrechen, nackt auf dem Klo ihrer Wohnung in der Rue de Turenne masturbierte. Auf der Matratze liegend sah er ihr durch die offenstehende Tür zu. Er erinnert sich an den Tag, an dem er sie bei der Rückkehr von seiner katastrophalen Wahlkampagne betrunken quer auf dem Bett liegend vorfand und sie ihm, als sie sich seiner Anwesenheit bewusst wurde, sagte: »Du kannst mich später anschnauzen, fick mich erst mal.« Der altkluge Dugin konnte ihm noch so oft Nietzsches Satz herbeten, den belesene Freunde in solchen Momenten immer aus der Tasche ziehen: »Was uns nicht umbringt, macht uns härter«, Eduard leidet Höllenqualen. Er würde sein Leben geben, um sich noch einmal in den Leib dieser überwältigenden, verlorenen Sängerin zu versenken, dieser Alkoholikerin und Nymphomanin, dieser Kreatur der Abgründe und Exzesse, die das unglaubliche Glück gehabt hat, denkt er, die Frau von Eduard Limonow gewesen zu sein, und die jetzt die noch unglaublichere Frechheit besitzt, dies nicht mehr sein zu wollen.
Diese halb im Wahn verbrachte Phase endet kurz nach der Wahl, die Jelzin mithilfe massiver Fälschungen als Sieger hervorgehen lässt. Eines Abends kehrt Eduard allein nach Hause zurück, als in einer menschenleeren Straße drei Typen über ihn herfallen. Sie werfen ihn zu Boden und treten ihm in die Rippen und ins Gesicht. Sie wollen ihn nicht töten – hätten sie das gewollt, hätten sie es getan –, aber die Warnung ist ernstzunehmen: Er verbringt acht Tage im Krankenhaus und verliert fast ein Auge.
Er hat sich oft gefragt, wer ihn da gewarnt hat und wovor. Sein stichhaltigster Verdacht fällt auf den General Lebed. Dieser ehemalige Fallschirmjäger und Kriegsheld in Afghanistan, der einen etwas zarteren Arnold Schwarzenegger abgibt und einen Ruf von rauer Ehrlichkeit genießt, hat bei den Präsidentschaftswahlen den dritten Platz belegt.
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