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Limonow (German Edition)

Limonow (German Edition)

Titel: Limonow (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmanuel Carrère
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Viele Leute in Russland, aber auch im Westen, betrachten ihn als eine Art sibirischen de Gaulle. Alain Delon, der ein unerwartetes Interesse für russische Innenpolitik zeigt, versichert ihm in Paris Match seine Unterstützung. Eduard dagegen hasst ihn, zum einen, weil er mehr als seine natürlichen Gegner all jene hasst, die dieselbe Marktlücke bedienen wie er, aber mit mehr Erfolg – denn auch Lebed tritt in der Klasse »ein echter Mann« an –, zum anderen, weil Lebed sich, obwohl er General ist, mutig gegen den Krieg in Tschetschenien ausgesprochen hat und keine Anstrengungen unterlässt, um für diesen ein ehrbares Ende zu finden. Limonka führt eine erbitterte Kampagne gegen ihn, und auch wenn Limonka nicht mehr ist als ein Fanzine mit einer Auflage von 5000 Exemplaren, das von provinziellen Punks gelesen wird, ist es letztlich nicht unmöglich, dass der aufrichtige General oder jemand aus seiner Umgebung seine Irritation auf dieselbe Weise zum Ausdruck gebracht hat, in der man sie in seinem Land recht häufig bekundet, selbst in den besten Kreisen.
    Von diesem Tag an tut Eduard jedenfalls keinen Schritt mehr auf die Straße ohne die Begleitung von drei Nazboly mit einer hinreichend abschreckenden Schulterbreite. Damit ist er nicht der einzige: Enorm viele Leute in Russland haben Bodyguards. In Moskau habe ich mal mit einem Mädchen geflirtet, die einen hatte. Ich sah ihn über ihre Schulter hinweg, während ich im Restaurant mein freundlichstes Gesicht aufsetzte: Er aß mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht am Nebentisch. Später am Abend hielt er vor der Tür Wache. Am Anfang ist es irritierend, dann gewöhnt man sich daran.
    4
    Die Ausländer, die nach Russland gekommen waren, um dort ihr Glück zu versuchen – Geschäftsmänner, Journalisten, Abenteurer – sprechen von Jelzins zweiter Amtszeit mit Nostalgie. 1996–2000: das waren die rockigsten Jahre ihres Lebens. Während dieser Jahre ist Moskau das Zentrum der Welt. Nirgendwo sonst sind die Nächte so verrückt, die Frauen so schön und die Rechnungen so hoch. Dies freilich nur für jene, die genügend Mittel besitzen, um sie zu bezahlen. Aber von denjenigen, die sie nicht besitzen, hört man nichts mehr. Selbst als der Crash von 1998 zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts ihre bescheidenen Ersparnisse auffrisst, gehen sie nicht auf die Straße. Bestürzt und hypnotisiert bleiben sie im hintersten Winkel ihrer ärmlichen Kneipen vor dem Fernseher sitzen, der nichts anderes mehr zeigt als die Märchenwelt von großstädtischen Reichen und umwerfenden jungen Mädchen, die mit einer lässigen Goldkarte für ihre Sushi-Platten das Äquivalent des Jahresgehalts einer Lehrerin zahlen, und junge, arrogante Männer, die umgeben von einer Armee von Bodyguards mit Knöpfen im Ohr in ihrem Privatjet nach Courchevel fliegen, wo sie ihre Whirlpools mit Veuve Clicquot füllen. Der Bankraub des »Aktien für Kredite«-Programms hat alle Erwartungen übertroffen: Chodorkowski zum Beispiel hat sich für 168 Millionen Dollar den Ölkonzern Jukos zum Geschenk gemacht, der ihm drei Milliarden im Jahr einbringt. Die Oligarchen besitzen jetzt alles, absolut alles: unermessliche Vermögen, die sich auf Rohstoffe und nicht auf Technologien gründen, Vermögen, die keinen allgemeinen Wohlstand schaffen und in einem undurchsichtigen Netz von Offshore -Gesellschaften in Vaduz oder auf den Kaimaninseln verschwinden. Man kann darüber entrüstet sein, aber man kann auch, wie meine Mutter, sagen: »Natürlich sind das Gangster, aber das ist nur die erste Generation des Kapitalismus in Russland. In Amerika ging es am Anfang ganz genauso zu. Die Oligarchen sind nicht ehrlich, aber sie lassen ihre Kinder in guten Schulen in der Schweiz erziehen, damit sie sich selber den Luxus erlauben können, genau das zu sein. Wart’ mal eine Generation ab. Du wirst schon sehen.«
    Auch die Politik wird privatisiert. Das Buch, das mein couragierter Cousin Paul Klebnikov aus seinen Recherchen zu Beresowski machte, heißt Der Pate des Kremls , und damit trifft er ins Schwarze. Beresowski genießt seinen Triumph nicht im Stillen. Er verfehlt keine Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass er es ist, der in Russland die Macht besitzt, und dass der alte Zar es ihm verdankt, auf seinem Thron geblieben zu sein und im Gegenzug dafür nach seiner Pfeife tanzt. Die Opposition zerfetzt sich darüber, das Volk ist erstarrt, und Eduard, der kein anderes Ventil für seine überschüssige Energie

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