Limonow (German Edition)
Nationalbolschewistische Partei als einen Ableger von Al-Qaida hin und ihre Isba-Hütte im Altaigebirge als heimliches Trainingslager, das Hunderte von fanatischen Kämpfern ausbildet – so wie er es sich tatsächlich erträumte und womit die Wirklichkeit, das weiß er genau, nur sehr wenig Ähnlichkeit hatte. Alle im Gefängnis haben Die Jagd nach dem Phantom (so lautet der Titel des Films) gesehen, jeder weiß, dass Eduard dessen Held ist, und alle beginnen ihn »Bin Laden« zu nennen – was natürlich schmeichelhaft, aber auch gefährlich ist.
Saratow ist das Gegenteil von Lefortowo: Man läuft nicht Gefahr, an Isolation zu leiden, sondern an Promiskuität. Obwohl die Zellen für vier Gefangene ausgestattet sind, stopft man sie oft zu siebt oder acht hinein. Als Eduard zum ersten Mal die seine betritt, sind alle Betten besetzt, und ohne zu protestieren rollt er seine Matte auf dem Boden aus; er findet es normal, dass der Zuletztgekommene das erhält, was übrigbleibt. Diese Bescheidenheit sorgt für positive Überraschung. Denn als er ankommt, geht ihm der Ruf eines Intellektuellen, eines politischen Häftlings und eines Stars voraus, drei Gründe, um als eingebildetes Arschloch zu gelten, und drei Gründe, dass die Sache schiefläuft. Aber er erweist sich sofort als einfacher und direkter Kerl, der nichts anderes sucht als sidet spokojno , das heißt ruhig seine Strafe abzusitzen, ohne viel Wind zu machen, ohne große Worte zu spucken und ohne sich oder anderen Ärger einzubrocken; und jeder schätzt diese Weisheit des erfahrenen Häftlings und spürt gleichzeitig, dass hinter dieser Gelassenheit ein richtig harter Kerl steckt. Keiner von der Sorte, die blöde fragen »Kann ich dir helfen?«, wenn sie jemanden herumbasteln oder kochen sehen, sondern einer, der errät, was zu tun ist und es einfach tut. Der überflüssige Worte und Gesten vermeidet, lästige Arbeiten nicht scheut, ein Paket, das er erhält, mit den anderen teilt und die ungeschriebenen Gesetze achtet, die das Gefängnisleben regeln, ohne dass man sie ihm zu erklären braucht. Einer, der des Guten aber auch nicht zu viel tut und mit ruhiger Autorität seine eigene Art, die Dinge zu sehen und anzugehen, durchsetzt. Anfangs überrascht es die anderen, dass er nie einwilligt, eine Partie Karten oder Schach mitzuspielen, weil er das als Zeitverlust betrachtet, und er die seine lieber damit verbringt, auf seiner Schlafstatt zu lesen oder zu schreiben, aber man begreift schnell, dass dahinter kein Snobismus steckt: Er ist einfach so, und seine Art hält ihn nicht davon ab, immer für andere da zu sein, wenn jemand beim Verfassen eines Briefs an seine Freundin Hilfe braucht oder die Lösung für ein Kreuzworträtsel sucht. Eine Woche nach seiner Ankunft lautet das Urteil einstimmig: ein guter Typ.
Während ich dieses Buch schrieb, gab es Zeiten, in denen ich Limonow hasste und befürchtete, mich mit meinem Vorhaben, über sein Leben zu schreiben, auf einen Irrweg begeben zu haben. Als ich mich während eines solchen Moments in San Francisco befand, sprach ich mit meinem Freund Tom Luddy über dieses Projekt, und Tom, der die begabteste Person der Welt ist, wenn es darum geht, Verbindungen herzustellen (was auch immer für eine Frage einen umtreibt, er hat einen Tipp parat oder stellt einem jemanden vor, der von wertvoller Hilfe sein kann), reagierte wie auf Knopfdruck: »Limonow? Ich habe eine Freundin, die ihn sehr gut kennt. Wenn du willst, essen wir morgen Abend mit ihr.« So machte ich die Bekanntschaft von Olga Matitch, einer Weißrussin von etwa sechzig Jahren, die in Berkeley russische Literatur lehrt und Eduard in der Zeit kennenlernte, als er in den Vereinigten Staaten lebte. Als Fuck off, Amerika erschien, fragten sich die amerikanischen wie die französischen Slawisten zunächst perplex, was sie von diesem Autor halten sollten, doch sehr schnell beschlossen sie einvernehmlich, ihn zu hassen. Olga ist die Ausnahme, sie hat nie mit ihm gebrochen, hält Vorlesungen über sein Werk, besucht ihn, wenn sie in Moskau ist, und bringt ihm seit dreißig Jahren eine unerschütterliche Zuneigung und Wertschätzung entgegen – und diese Ausnahme ist umso bedeutsamer, als Olga mir nicht nur als eine intelligente und kultivierte, sondern auch zutiefst gütige Frau erschien. Ich weiß, das ist nur ein Eindruck, aber es ist wie bei Sachar Prilepin: Ich vertraue ihm.
Olga sagte mir Folgendes: »Wissen Sie, ich habe einige Schriftsteller kennengelernt,
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