Limonow (German Edition)
und vor allem russische Schriftsteller. Ich habe sie alle kennengelernt. Und der einzige gute, wirklich gute Typ unter ihnen war Limonow. Really, he is one of the most decent men I have met in my life .«
Aus ihrem Mund hörte ich das Wort decent in dem Sinn, den George Orwell ihm verlieh, wenn er von common decency sprach: Diese hohe Tugend, so sagte er, ist eher im Volk als in den höheren Gesellschaftsschichten verbreitet und unter Intellektuellen äußerst selten, sie ist eine Mischung aus Ehrlichkeit und gesundem Menschenverstand, aus Misstrauen gegenüber großen Worten und Respekt vor dem Versprechen, aus realistischer Einschätzung der Wirklichkeit und Aufmerksamkeit für andere. Nun kann ich Olga allerdings noch so sehr vertrauen, es fällt mir etwas schwer, Eduards Gesicht von diesem Heiligenschein umgeben zu sehen, während er auf Sarajewo schießt oder Komplotte mit so finsteren Idioten wie dem Oberst Alksnis ausheckt (und zur Beruhigung: auch Olga fällt das schwer). Aber für manche Momente in seinem Leben verstehe ich, was sie damit meint, und Eduards Zeit im Gefängnis ist einer davon. Vielleicht der größte in seinem Leben, in dem er dem am nächsten ist, was er sich immer tapfer und mit kindlicher Sturheit bemüht hat zu sein: ein Held, ein wirklich großer Mann.
Seine Gefängnisgenossen sind Gewaltverbrecher, die für schwere Delikte hohe Strafen abzusitzen haben. Die meisten wegen Artikel 105: Mord mit besonderer Verwerflichkeit der Tat, und Eduard, der Verbrechern immer schon Respekt zollte, ist stolz, sich seinerseits ihren Respekt verschafft zu haben. Er ist stolz, dass sie seine Partei nicht als Ansammlung von jungen Idealisten betrachten, sondern als Gang (»Du hast siebentausend Mann? Wahnsinn!«), und dass sie ihn, wenn Bin Laden gerade nicht an der Reihe ist, »Limon der Boss« nennen, und vor allem ist er stolz, als ein Pate ihn eines Tages diskret fragt – wie man jemanden wissen lässt, es liege nur an ihm, ob er der Académie Française beitreten wolle –, ob er Lust habe, in der Bruderschaft der wory w sakone aufgenommen zu werden, der Diebe im Gesetz, dieser Aristokratie der Unterwelt, von der er in seiner Jugend so oft träumte. All das imponiert mir, ohne mich zu überraschen: Es ist Eduard, wie er leibt und lebt. Was mich viel mehr überrascht und Olga recht gibt, ist die Tatsache, dass er in den drei Büchern, in denen er von seinem Aufenthalt im Gefängnis berichtet, viel weniger von sich erzählt als von anderen. Ihn, den Narziss, den Egomanen, sieht man sich vergessen, er vergisst zu posieren und interessiert sich stattdessen ehrlich für die Dinge, die seine Zellengenossen dorthin gebracht haben, wo sie sind.
Manche sagen zu ihm: »Du bist doch Schriftsteller, schreib doch mal meine Geschichte auf.« Er lässt sich nicht lange bitten und tut es, und das Ganze ergibt einige Dutzend von Kleinst romanen. Darunter zum Beispiel die Saga der Engels-Bande, einer Gang von acht Mafiosi, die die nahegelegene Industriestadt dieses Namens beherrschten und auspressten, Rivalen und Bullen großzügig abknallten und dafür Strafen kassierten, die von zweiundzwanzig Jahren bis lebenslänglich reichen. Es gibt auch das ach so traurige Missgeschick eines Häftlings, der in Erwartung seiner baldigen Freilassung den anderen wochenlang damit auf den Wecker fiel, ihnen Schritt für Schritt den Weg zu seiner Verlobten zu beschreiben, doch am Vorabend des großen Tags erhält er einen Brief von ihr, in dem sie ihm gesteht, dass sie mit einem anderen Mann zusammengezogen ist – und während Eduard alles in seiner Macht Stehende tut, um den armen Jungen zu trösten, denkt er natürlich an Nastja. Es gibt die grauenhafte Geschichte von zwei Cousins, die ein kleines Mädchen von elf Jahren vergewaltigt und getötet haben. Mit diesen beiden Provinz-Jugendlichen, von denen einer geistig zurückgeblieben ist, hatte er häufiger Umgang. Er spürte die Aura von Elend und Scham, die Sexualverbrecher umgibt. Fasziniert rekonstruiert er, »wie zwei sehr junge, einsame Männer dazu kommen, eine zarte, grazile Puppe zu zerschlagen, weil sie nicht wissen, wie man mit ihr umgeht«. Und als einer dieser Jungen, die den Rest ihres Lebens damit verbringen werden, sich in einem Lager mit besonders strengen Auflagen peinigen zu lassen, ihm bei seinem Weggang aus Saratow zusteckt: »Viel Glück, Edik«, ist er verwirrt und sogar überwältigt: Dieses Marschgepäck nimmt er gern mit auf den Weg.
»Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher